Susanne Keichel: Bildungsungerechtigkeit
von Margit Neuhold
»Bilder der Auseinandersetzung« 5|2023. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«
Die Schule ist vielen Jugendlichen ein unwirtlicher Ort: Zumeist gilt ein rigides Regelwerk von Schweigen und Stillsitzen, die Aufmerksamkeit liegt ungleich mehr auf den Defiziten als auf den Potenzialen der jungen Menschen, und zu oft werden soziale Ordnungen unserer Gesellschaft reproduziert. In Verbindung mit ihrer eigenen Biografie untersucht Susanne Keichel Schule als zentralen Austragungsort sozialer Ungleichheit.
Drei Jahre lang hat sie an einer Oberschule in Dresden mit Jugendlichen zwischen elf und 14 Jahren gearbeitet und einen tiefen Einblick in die Funktionsweisen des Bildungssystems bekommen, den sie in Soziale Gerechtigkeit / Teil I Schule (2021–2022) thematisiert. Diese fotografische Werkgruppe ist Auszug aus einem dreiteiligen Projekt, das untersucht, wie sich Schule, Herkunft und Arbeit zueinander verhalten: Die einzelnen Bereiche sind aneinandergekoppelt, bedingen einander und schreiben zumeist soziale Hierarchien fort.
Für ihre nüchtern und analytisch aufgenommenen Motive hat sie eine sehr klare Bildsprache gewählt: Zu sehen ist beispielsweise eine Hand, die einen Handrücken mit Namen vollschreibt, ein in unterschiedlichen Farben changierender Knutschfleck auf dem Hals eines blonden Mädchens, das Öffnen einer Sprite-PET-Flasche durch Finger mit langen künstlichen Nägeln, aber auch ein Ordnungsregime von orangen Kunststoffstühlen, die auf Tische gestellt sind, oder eine gewischte grüne Tafel mit hellen, geradlinigen Spuren des Schwammes. Die oftmals in Sequenzen und Gruppen angeordneten Fotografien zeigen Merkmale von Zugehörigkeiten, aber auch Vereinzelung. Mithin loten sie in formal strengen Arrangements eine Atmosphäre disziplinarischer Ordnung aus.
In ihren vielschichtigen filmischen und fotografischen Untersuchungen bestehender Verhältnisse geht Susanne Keichel Fragen sozialer Gerechtigkeit nach: Haben Jugendliche eine Schul- und Berufswahl, die von ihrer Herkunft unabhängig ist? Ermöglicht das Bildungssystem Biografien, die nicht direkt an die Ausgangsbedingungen gekoppelt sind? Wie müsste ein Bildungssystem ausgerichtet sein, damit Schule für Jugendliche ein guter Ort ist?
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