Kalorien für den Kapitalismus
von Johannes Knierzinger
Eine Globalgeschichte
EUR 36,00 (AT), EUR 35,00 (DE), CHF 46,90 (CH)
In Born in Blackness, so der englische Titel des Buchs, versucht der Journalismusprofessor Howard W. French zu zeigen, dass es ohne die Versklavung großer Teile der afrikanischen Bevölkerung keinen Kapitalismus und keinen Aufstieg des Westens gegeben hätte.
French folgt damit einer Reihe neuerer Veröffentlichungen, die die weltgeschichtliche Bedeutung der Sklaverei hervorstreichen. Es geht ihm jedoch auch um eine Neubewertung der Rolle Afrikas und den damit verbundenen strukturellen Rassismus in der Geschichtswissenschaft. Obwohl er den Bogen hie und da etwas überspannt, führt French sein Hauptargument überzeugend ins Treffen.
French ist selbst Nachkomme amerikanischer Sklavinnen und besucht mit der Leserin der Reihe nach zentrale historische Schauplätze, die in der Folge als Kulissen und erzählerische Anker für eine Tour de Force durch die vierhundertjährige Geschichte der modernen Sklaverei dienen. Aber nicht nur seine Erzählkunst, auch seine Argumente sind mitreißend. So sei es etwa afrikanisches Gold gewesen, das die Erkundung der neuen Welt erst ausgelöst und finanziert habe, und es seien in der Folge afrikanische Sklaven auf den Zuckerplantagen gewesen, die deren Eroberung derart profitabel machten, dass es der Westen im Laufe des 19. Jahrhunderts schaffte, China zu überflügeln.
Zucker steht ohne Zweifel im Mittelpunkt des Buchs. Der Kapitalismus sei durch die Zuckerplantagen nicht nur direkt finanziert worden, Zucker sorgte aufgrund seiner »Energiedichte« auch für eine höhere Produktivität in den kolonialen Zentren. Nicht zuletzt entwickelten Englands Plantagenbesitzer in Barbados ab dem 17. Jahrhundert bereits eine Art Urtaylorismus, der an Grausamkeit kaum zu übertreffen war. Der Rassismus, wie wir ihn heute kennen, wäre nicht möglich gewesen, wenn die Europäer nicht im späten 15. Jahrhundert damit begonnen hätten, Afrikanerinnen in entmenschlichte Waren zu verwandeln und in die Neue Welt zu importieren. Dieser Zusammenhang von Kapitalismus, Sklaverei und Rassismus wird in dem Buch eindrücklich und überzeugend beschrieben, und French beruft sich auch auf eine Reihe von führenden Historikern, von Frederick Cooper bis Kenneth Pomeranz.
Die Beschreibung der Anfänge des Sklavenhandels gelingt an einigen Stellen etwas weniger gut, weil sich French in seinem zweifelsohne berechtigten Bemühen, den afrikanischen Kontinent aufzuwerten, zum Teil auf unsichere Quellen stützt. Ähnlich verhält es sich bei der Beschreibung der Auswirkungen der Sklaverei bis heute. French geht unter anderem von einem dauerhaften Vertrauensverlust in den afrikanischen Gesellschaften durch den Sklavenhandel aus und unterfüttert diese These mit epigenetischen Theorien über das übergenerationelle Fortwirken von Stresssituationen.
Abgesehen von diesen wenigen Passagen, in denen der Journalist French etwas über die Stränge schlägt, handelt es sich jedoch um eine perfekte Mischung aus engagierter Wissenschaft und großer Erzählkunst, die erschütternd eindringlich vor Augen führt, wie zentral die profitorientierte Vernichtung von Millionen von Menschen in den Sklavenplantagen für den Aufstieg des Westens war.
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