An der Schwelle
zum Abgrund

von Geoff Mann

Illustration: Ūla Šveikauskaitė

Die Klimapolitik beruft sich gerne auf Forschung und Wahrscheinlichkeitsmodelle. Dabei wissen wir viel weniger als gedacht – und unterschätzen die Möglichkeit der Katastrophe systematisch.


4197 wörter
~17 minuten

Man vergisst dieser Tage leicht, dass die Welt nicht zum ersten Mal an der Schwelle zum Abgrund steht. Vor fünfzig Jahren schrieb Hannah Arendt über das atomare Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion: »Auf die Frage nach einem Ausweg aus dem offensichtlichen Wahnsinn dieser Position gibt es bisher keine Antwort.« Auch damals war eine apokalyptische Stimmung zur Normalität geworden. Es mag ein Trost sein, dass die Welt, so schlimm sie Arendt auch schien, im Jahr 1970 nicht untergegangen ist, und auch davor und danach nicht, allen gegenteiligen Ankündigungen zum Trotz. Gibt es aber etwas, das unsere Gegenwart von den früheren Zeiten unterscheidet?

Obwohl es auch heute nicht an mörderischen Staatenlenkern mit Atomwaffen mangelt, sind es nicht die roten Knöpfe, die die größte Bedrohung für unser Überleben darstellen. Tatsächlich muss gar nichts Besonderes passieren: Wenn wir einfach so weitermachen wie bisher, wird, nach allem, was wir wissen, immer mehr von unserem Planeten in Flammen aufgehen oder im Wasser versinken. Küsten werden verschwinden, Gletscher kollabieren und Flüsse austrocknen, Böden werden versanden und verwittern, und Millionen Menschen werden zur Flucht gezwungen oder an Krankheiten sterben. Um es in der vorsichtigen Terminologie der »Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger« des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) auszudrücken, haben wir »hohes Vertrauen«, dass, wenn wir so weitermachen, irreversible soziale Verwüstungen letztendlich »sehr wahrscheinlich« werden. Die Frage ist natürlich, wann »letztendlich« sein wird und ob wir zwischen jetzt und dann den Kurs ändern können.

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