Im neuen Buch von Barbi Marković wird eine Autorin namens Mini als ständig schreibend dargestellt. Mittels fünf Werkstationen arbeitet sie an mehreren Projekten gleichzeitig. Möglich, dass Marković sich damit – leicht übertrieben – selbst zeichnet, denn die Autorin scheint mit Lesungen und Publikationen derzeit omnipräsent. Minihorror erzählt vom Alltag eines Paars, Mini und Miki, in einzelnen, autobiografisch grundierten Kapiteln, die mit Horrorvorlagen vermengt werden. Jeden Moment kann das Banale ins Unheimliche kippen, unvermutet lösen sich Wirklichkeitsebenen und Körpergrenzen auf. Oder es gelingt den Figuren, noch rechtzeitig das Schlimme zu verhindern: »Die Kunst besteht darin, den Moment kurz vor der Katastrophe zu erkennen.«
Marković spielt mit dem Horrorgenre, durchkreuzt Erwartungshaltungen, erzählt filmisch in der Art von Serien auf Netflix und bleibt bei ihrem Prinzip, jeden Anschein von Bildungsbürgerlichkeit zu vermeiden, was sich auch in einer gewollt einfachen Sprache widerspiegelt. Ironie, Humor, Lakonie und Erfindungsreichtum machen die einzelnen Kapitel zur anregenden Lektüre. Auffällig ist diesmal die Abkehr von der migrantischen Herkunftsperspektive. Das Festgelegtwerden darauf wird in einem Text sogar vehement zurückgewiesen, obwohl Marković in der Vergangenheit durchaus damit gespielt hat, so in ihrem letzten Roman Die verschissene Zeit über zeitreisende Teenager in den 90er-Jahren in Belgrad. Doch man muss nicht dauernd die Faszination der Westler für Jugoslawien-Folklore bedienen.
Diesmal lassen die Namen der Protagonisten sogar auf Figuren aus Disney-Comics schließen, die ja über verschiedene Medien Westen und Osten verbunden haben. Mäuseohren auf dem Cover des Buches erlauben solche Rückschlüsse. Andererseits ist der Name Mini eine Abkürzung von Minerva, Göttin des Wissens, und einige Lebensweisheiten sind in diesen Geschichten auch zu entdecken. Überzeugend an Minihorror ist vor allem der partizipative Teil, das sogenannte Bonusmaterial. Neben einer Spielanleitung, wie es sie schon beim Roman Die verschissene Zeit gab, gibt es kurze Plots, mit witzigen Zeichnungen versehen, die es Leserinnen ermöglichen, eigene Mini-Miki-Horror-geschichten zu entwerfen, wie zum Beispiel: »Im neuen Haus hören Miki und Mini ständig jemanden kauen. Es stellt sich heraus, es ist das Haus selbst.« Oder: »Mini hält einen Vortrag über Klasse in der Literatur, im Publikum sitzen ausschließlich Erb:innen.« Dieses Prinzip erinnert ein wenig an Jugendbücher, in denen es an Kreuzungspunkten verschiedene Wahlmöglichkeiten gibt, Geschichten weiterzuerzählen.
Die Abbildungen zu den Mini-Plots stammen von der in Berlin lebenden Belgrader Künstlerin Ivana Kličković. Fast ist man versucht, diese Vorgaben zum Selberschreiben als eigenes literarisches Genre zu verstehen. Eine konzeptuelle Arbeit der vielseitigen Barbi Marković ist dieser Anhang allemal. Schreibworkshopleiterinnen und Deutschlehrer werden sich mit Freude auf den Band stürzen. Und die Autorin wird zu vielen Lesungen reisen. Es wird gelacht werden. Und gestaunt.
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