Michael Goldgruber:
Anthropogene Alpinlandschaften
von Margit Neuhold
»Bilder der Auseinandersetzung« 12/1|2023/2024. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«.
Wie könnte sich eine alpine Landschaft im Anthropozän fotografisch abbilden lassen? Ist es möglich, die Wahrnehmung mit Blick auf die immer drängender werdende Klimakatastrophe zuzuspitzen? So könnten die Fragen lauten, mit deren Hilfe Michael Goldgruber alpine Landschaftsbilder einer Neubetrachtung unterzieht: In seinem umfangreichen Werkkomplex Bruchzonen (2016–2023), der nun auch als gleichlautende Publikation vorliegt, untersucht der Fotograf die Gletscher-, Schnee- und Felsregionen in der Ostalpenregion. Im Fokus stehen die Übergangsorte zwischen Eis und Gestein – oder zwischen Naturräumen und Tourismusorten. In dieser alpinen Topografie zeigen sich die Auswirkungen der Erderhitzung im Brüchigwerden der Gesteine durch den auftauenden Permafrost und im Schmelzen der Eismassen. Michael Goldgruber fotografierte diese zumeist mit fehlender Horizontlinie und verunklärenden Größenverhältnissen. Zu sehen ist somit oftmals ein Allover aus Eis-, Schnee- oder Gesteinsformationen. In dem hier gezeigten Ausschnitt wird eine mächtige Seilbahnstütze des Skigebiets Pitztaler Gletscher neben bildfüllendem Gestein und einer angedeuteten Wolkendecke zu einer fragilen Skulptur. Bildausschnitt und Sujet brechen mit klassischen Bildtraditionen der Landschaftsdarstellung. Statt vielfach genutzter Klischees zeigt Goldgruber eine Landschaft des Alpenraums, in die sich der Mensch mehrfach eingeschrieben hat.
Medialen Bildern einer Alpenidylle hält Michael Goldgruber aktuelle Transformationsprozesse entgegen. Und er hinterfragt die im Alpenraum verbreiteten Praxen wie Snowfarming, um beispielsweise dem Tourismus einen frühen Wintersaisonstart zu garantieren, und die Verwendung des Gletschervlieses, des Geotextils aus Polypropylen, das auf Gletscheroberflächen angebracht Mikroplastik zurücklässt, um der Gletscherschmelze entgegenzuwirken. Die Bilder widersetzen sich jeglicher Behauptung von authentischer Natur oder Wildnis und zeigen die Regulation derselben. In ihrer Monumentalität stellen sie die Frage nach Verbindlichkeit im Konsumieren von Landschaft.
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