Der Intendant
von Michael Scharang
Die Tragödie der Kunst besteht darin, dass sie rettungslos an die Kultur gekettet ist. Davon profitieren die Kulturbetriebler. Einer von ihnen ist Milo Rau, der neue Leiter der Wiener Festwochen.
Eines ist gewiss: Der Linksradikale ist nicht links. Er ist kein Sozialist, er ist kein Kommunist. Eines ist er sicher: radikal. Das ist eine Eigenschaft, die selten vorkommt. Man findet sie nicht bei Arbeiterinnen und Arbeitern, nicht bei Philosophen, nicht bei Wissenschaftern, nicht bei Künstlern.
Radikale findet man vor allem bei einer Personengruppe vor, den Kunstgewerblern. Bei Leuten also, die im Kulturmanagement tätig sind – Intendanten, Theaterdirektoren, Dramaturgen –, Personen, die allesamt nur zu einem imstande sind: Künstler, die etwas können, anzustellen, ihnen aufzuzwingen, was Künstler ablehnen, und sie wieder zu entlassen. Es herrscht eine Diktatur der Nichtskönner über die Könner. Diese Herrschaftsform nennt man Kultur.
Adorno schreibt, Brecht habe gesagt, die Kultur sei ein Palast, der aus Hundsscheiße gebaut ist. Die Tragödie der Kunst besteht darin, dass sie rettungslos an die Kultur gekettet ist. Davon profitieren die Kulturbetriebler. Einer von ihnen ist Milo Rau, ein mächtiger Mann, immerhin Intendant der Wiener Festwochen. Anfang Dezember letzten Jahres gab er ein Interview. Die Frau, die ihn interviewt, macht dankenswerterweise in einer Vorbemerkung klar, mit welcher Kapazität man es zu tun hat. »Er sieht das parlamentarische System bröckeln und will dagegenarbeiten.« Ein Geistesriese stemmt sich gegen den Untergang der Menschheit.
Dabei findet er noch Zeit zu verkünden: »Linksradikal heißt für mich also, dass ich in langfristigen Strukturen versuche zu denken.« Ich, ein Anhänger kurzfristiger Strukturen, kann Herrn Rau versichern, dass sein Denkversuch mit Denken nichts zu tun hat. Linksradikalismus ist eine Form des Opportunismus, die Denkverlust zur Folge hat.
Milo Rau tritt als Revolutionär auf, dem die Bewahrung des Bestehenden das höchste Anliegen ist. Er bedauert, dass die politischen Parteien so wenig erreichen. »Das führt dazu, dass sich Menschen vom parlamentarischen System abwenden.« Da schreitet Heilsbringer Rau ein: »Diese Entwicklung möchte ich als Theatermacher gerne aufhalten.« Eine heroische Aufgabe, welcher Theatermacher wie Nestroy und Brecht nicht gewachsen waren.
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