Zivilgesellschaft im Netz

von Hazel Rosenstrauch

Illustration: Dani Maiz

Innerhalb der Free-Software-Communitys engagiert man sich für Selbstbestimmung im Umgang mit technischen Errungenschaften.


2204 wörter
~9 minuten

Neben all dem Unfug, der in jeder Millisekunde über datenfressende Apps verbreitet wird, neben Anwendungen, die zu Fake-Nachrichten verleiten, Malware, Rassismus und Missbrauch erleichtern, gibt es tausende Programme und Initiativen, innerhalb derer über Freiheit, Moral und Selbstbestimmung im Netz nicht nur nachgedacht, sondern auch an Lösungen dafür gearbeitet wird. Nicht nur online. Die Protagonisten der freien Software treffen sich auch physisch, halten Tagungen ab und veröffentlichen in Buchform. Ich staune seit langem über den »Gap« (wir, mein Sohn Luis und ich, reden bei diesem Thema gern »denglisch«), also über die Kluft zwischen den Sprechern der »dominanten Kultur« (im 19. Jahrhundert nannte man das die »gebildeten Stände«, im späten 20. dann »Gatekeeper«) und der nicht so gut sichtbaren Kommunikation von Entwicklern, Programmierern und Erfindern, die sich für Autonomie und Verantwortung beim Gebrauch der Technologie engagieren. Ihre Fürsprecher sind über die ganze Welt verstreut und, um es im Slang des vorigen Jahrhunderts auszudrücken, durch kritisches Bewusstsein miteinander verbunden. Selbst analog sozialisiert und eher Novizin in dem Feld, gewinne ich den Eindruck, dass es sich um eine weltweite Unabhängigkeitsbewegung handelt.

Die Repräsentanten der »öffentlichen Meinung« haben wenig Kontakt zu dieser Welt, die jeweiligen Vertreter sprechen verschiedene Sprachen, sie unterscheiden sich durch Denkweisen, Methoden und Habitus. Es gibt kaum Brücken zwischen diesen zwei Kulturen. Wenn von Digitalisierung gesprochen und geschrieben wird, stehen in der traditionellen Öffentlichkeit oft Ängste im Vordergrund, die Angst vor künstlicher Intelligenz (KI, richtiger wäre AI, weil im Englischen, anders als bei »künstlicher Intelligenz«, auch die zweite Bedeutung des Worts »intelligence« mitschwingt: »Information, especially secret information gath­ered about an actual or potential enemy or adversary«), Angst vor Desinformation und Missbrauch. Angst ist ein wichtiger Treiber für Wut und Aggressionen und in deren Gefolge auch für Populismus.

Experten, Politiker, Wissenschafterinnen und Journalistinnen diskutieren, wie man die Gefahr der Manipulation, eines Kriegs der Roboter gegen Menschen oder Deepfakes bannen könnte. Erste Regulierungen auf europäischer bzw. nationaler Ebene sind mit dem AI Act seit Anfang Dezember letzten Jahres definiert, es gibt Strategiepapiere, Empfehlungen und Entwürfe zur Abwehr der Gefahren. Expertengruppen und Ethikkommissionen schlagen vor, Codes sollten offengelegt, Inhalte geprüft und bei Bedarf bestraft werden können. Optimisten meinen, so könne man endlich begreifen, dass Sicherheit kostet und dass die so leicht erklickbaren Dienstleistungen nur scheinbar gratis seien. Neue Gesetze, neue Institutionen und internationale Regelungen sind im Gespräch – ein Gremium à la Klimarat oder die Aufsicht der Finanzmärkte. Gebremst werden Entscheidungen, weil sich nicht nur Regierungen und Technologieunternehmen einigen müssten – zu strenge Regeln könnten die chinesische oder eine sonstige Konkurrenz stärken. Die meisten Ideen scheitern vorerst daran, dass die »eingriffsfähigen Institutionen« der mächtigen Lobby einiger weniger Konzerne gegenüberstehen. Eine öffentliche Debatte ist zwar erwünscht und wird auch gefordert, vorerst allerdings ohne großen Erfolg, was nicht zuletzt mit einer fragmentierten Öffentlichkeit zu tun hat.

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