Hauptmerkmal »anpassungsfähig«

von Berthold Molden

413 wörter
~2 minuten
Hauptmerkmal »anpassungsfähig«
Drehli Robnik
Flexibler Faschismus
Siegfried Kracauers Analysen rechter Mobilisierungen damals und heute
Transcript, 2023, 294 Seiten
EUR 30,00 (AT), EUR 29,00 (DE), CHF 39,50 (CH)

Nach früheren Arbeiten über Siegfried Kracauer als Filmtheoretiker hat sich der Wiener Publizist Drehli Robnik nun einen anderen Aspekt vorgenommen, der das Werk dieses lange im Schatten seiner berühmteren Kollegen stehenden Mitdenkers der Frankfurter Schule auszeichnet: Kracauers multiperspektivische Faschismusanalyse, die sich sowohl in filmspezifischen als auch in soziologischen Schriften seit den 1930er-Jahren findet.

An der historischen Genese des Nationalsozialismus hob Kracauer – wissend um die Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Manifestationen des Faschismus zu unterscheiden – die Bedeutung jener enttäuschten Mittelschichten hervor, die er bereits in seiner berühmten Studie Die Angestellten (1930) porträtiert hatte. Dass von Kaufkraftverlust und Arbeitslosigkeit verunsicherte Mittelschichtler sich nicht nach links proletarisierten, sondern auf nationalistische, autoritäre Parolen hörten – dass sie also nicht die Ausbeutung durch die »Oberschicht«, sondern ihr eigenes Gleiten in die »Unterschicht« fürchteten –, ist auch ein Problem unserer Gegenwart.

So spielt auch bei Robnik die Frage nach der vermeintlichen gesellschaftlichen »Mitte« eine zentrale Rolle, und er vermag die Relevanz Kracauer’scher Beobachtungen für die Deutung aktueller politischer Entwicklungen hervorragend zu zeigen. In seinem charakteristischen Stil, der nicht vor offenen und provokant zuspitzenden Benennungen zurückschreckt, und mit steten Referenzen auf eine Vielzahl historischer und gegenwärtiger Quellen (oft befinden sich wichtige Gedanken in den ausführlichen Fußnoten) führt der Autor durch verschiedene Dimensionen von Kracauers jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit dem Phänomen Faschismus. Auf dieser Wanderung bringt er Kracauer in Dialog mit anderen Schlüsselautoren der Faschismusanalyse wie Adorno, Arendt, Bloch, Horkheimer, Laclau und Žižek.

Vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung von Kontingenz, Zurücksetzung und Neuanfang in Kracauers Geschichtsdenken ist auch der Titel Flexibler Faschismus zu lesen. Es geht um die Wandelbarkeit »rechter Mobilisierung«, die Anpassungsfähigkeit faschistischer oder faschistoider Propaganda, die je nach gesellschaftlichem Kontext und historischer Periode unterschiedliche Formen annehmen mag. Und es geht immer wieder um die Frage, was dieser Mobilisierung entgegengestellt werden konnte oder hätte können, könnte oder kann. So etwa sieht Robnik Faschismus nicht als eine »automatische« Folge von Austeritätspolitik, denn »es könnte – anderes politisch-propagandistisches Handeln vorausgesetzt (das ist natürlich die Crux) – ja auch sozialistische Gegenmobilisierungen und linke Gegenhegemonie-Kämpfe begünstigen«.

Unter Robniks Schlussfolgerungen findet sich denn auch eine feurige Verteidigung des Radikalismusbegriffs. Diesen grenzt er von landläufigen (verinnerlichten oder absichtlichen) Vermischungen mit Extremismus ab und fordert – weil er mit Kracauer die Massen für wahrheitsfähig hält – seine Rehabilitierung als Kampfmittel gegen die aktuellen Formen rechter Politik. Denn diese sind eben nicht radikal, sondern extrem.

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