Es gibt quer durch die Medienlandschaft bewährte Sommerthemen, sagen wir: Badekultur, Flugscham, Hitzetod, Dürren, Open-Air-Festivals, Waldbrände und Balkonpflanzen. Über Wohnungslosigkeit hingegen wird in den warmen Monaten wenig berichtet – so als wäre es im Sommer keine große Sache, auf der Straße zu leben. Dabei ist die fehlende mediale Repräsentation nur die Konsequenz sozialpolitischer Entscheidungen, Angebote für Schlaf- und Aufenthaltsplätze für Wohnungslose mit Beginn der wärmeren Monate zurückzufahren.
In der Hauptstadt etwa wurde laut Fonds Soziales Wien Anfang Mai auf ein Regelangebot von circa 6800 Plätzen reduziert. Hier wurde zuletzt jedoch auch, vor allem durch die Initiative Sommerpaket, vehement eine umfangreichere, ganzjährige Weiterfinanzierung der Quartiere über den Winter hinaus gefordert. In der Initiative organisieren sich in erster Linie Menschen, die in den Quartieren für Wohnungslose arbeiten und entsprechend selbst von den Schließungen betroffen sind. Eine durchgehende Öffnung der Unterkünfte würde für die einen eine verbesserte Jobsicherheit bedeuten. Wer hingegen in sommers geöffneten und entsprechend stark ausgelasteten Quartieren arbeitet, würde durch ein breites Angebot deutlich entlastet werden.
Aber die Initiative denkt all das in größeren Zusammenhängen – es geht schließlich um die Bekämpfung von Armut und um eine gerechte Verteilung von sicherem Wohnraum. Der ist in Wien umkämpft wie in anderen Städten. Ausgerechnet am 1. Mai wurde in Wien-Alsergrund ein seit kurzem besetztes Haus polizeilich geräumt; die Bewohner:innen hatten zuvor auf Transparenten deutlich gemacht, was sie vom Leerstand halten: »zum Speiben«. Der ist tatsächlich ein großes soziales und ökologisches Problem: Laut Daten des Momentum-Instituts waren im Frühjahr in ganz Österreich in 650.000 Wohnungen keine Einwohner:innen registriert, während überall die Mieten weit über die Schmerzgrenze steigen, es bei weitem nicht genug leistbaren Wohnraum gibt und Boden versiegelt wird, bis kein Gras mehr wächst.
Als im letzten Sommer mehrere, teils tödliche Messerattacken auf Wohnungslose in Wien für Schlagzeilen und Empörung sorgten, wurden kurzerhand Nachtquartiere geöffnet. Der Täter ist mittlerweile gefasst, die temporären Notmaßnahmen wurden nicht verlängert. Das Gleiche gilt für die pandemiebedingten Verlängerungen des Winterpakets, wie es sie in den vergangenen Jahren gab. Immerhin hat der Fonds Soziales Wien heuer unter anderem ein neues Nachtquartier in Wien-Hernals angekündigt. Aber eine ganzjährige Öffnung der Quartiere, die vielen Menschen eine stabilere Lebensplanung und mehr Sicherheit im Alltag ermöglichen könnte, wäre eben etwas anderes.
Vielleicht wäre es an der Zeit, als Medienschaffende die eingeschliffene Praxis »saisonaler« Berichterstattung kritischer zu hinterfragen. Dazu gehört, über Wohnungslosigkeit nicht nur dann zu berichten, wenn Gewaltverbrechen wie im vergangenen Jahr einen grausamen aktuellen Anlass liefern.
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