Es ist immer noch ein weitverbreiteter Irrglaube, Frauen wären unzurechnungsfähig, zickig oder würden überreagieren, wenn sie ihre Periode haben. Solche nicht selten misogyn grundierten Annahmen ärgern Bianca Jankovska. Sie hält dagegen: »In Wirklichkeit fühlen sich Frauen nicht wegen ihres Zyklus überreizt, sondern weil sie dauerhaft unter Stress gesetzt werden. Ohne schwierige Arbeitsbedingungen und Mehrfachbelastung könnten sie in der Lutealphase anders agieren.«
Lutealphase? Ungefähr 90 Prozent der Menschen – inklusive Frauen – haben laut Jankovska keine Ahnung, was das bedeutet. Gegen diese und andere Wissenslücken schreibt sie mit ihrem Buch Potenziell furchtbare Tage. Über Anti-Work, Menstrual Health und das gute Leben an, mit dem sie über die Rolle der Menstruation in der patriarchalen Arbeitswelt aufklären möchte.
Die Autorin und Kolumnistin erklärt, ein Menstruationszyklus werde in vier Phasen unterteilt: Menstruationsphase, Follikelphase, Ovulationsphase und Lutealphase. Nach der Menstruation produziert der Körper Östrogen, und ein Follikel reift heran. Die Follikelphase wird oft als die »stärkste« Phase gesehen. In der Ovulationsphase, der fruchtbarsten Phase, platzt der reife Follikel und setzt ein Ei frei. Die Lutealphase wird von vielen als die »schwächste« Phase empfunden. Der Körper bereitet sich auf eine mögliche Schwangerschaft vor und produziert das Hormon Progesteron. In dieser Zeit kommt es häufiger zu Stimmungsschwankungen, Müdigkeit und körperlichen Beschwerden wie Unterleibsschmerzen, Brustspannen und Kopfschmerzen.
»Es wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch zu jedem Tag, zu jedem Zeitpunkt gleich leistungsfähig ist. Dass menstruierende Personen einen Zyklus haben, der dazu führt, dass sich der Körper alle 22 bis 30 Tage erneuert, was Auswirkungen auf den körperlichen Zustand hat, wird oft ignoriert«, sagt Jankovska und berichtet, dass sie von früheren Kolleg:innen fragende Blicke erntete, wenn sie sagte, sie fühle sich wegen ihrer Lutealphase ziemlich fertig.
Zyklusgesundheit und Arbeitsbedingungen
Jankovska litt lange an einer Prämenstruellen Dysphorischen Störung (PMDS), einer schweren Form des Prämenstruellen Syndroms (PMS), die durch intensive körperliche und emotionale Symptome in der zweiten Hälfte des Zyklus gekennzeichnet ist. PMDS betrifft drei bis acht Prozent aller menstruierenden Personen und ist verbunden mit Symptomen wie Angstzuständen, Depression oder, in der schlimmsten Form, mit Suizidalität. Es liegt auf der Hand, dass PMDS Folgen im Job hat. »Bevor ich wusste, in welcher Phase meines Zyklus ich bin, dachte ich, dass ich depressiv bin und nichts leisten kann«, erinnert sich Jankovska heute. Fragen wie »Warum kann ich nach drei Stunden nicht mehr arbeiten?« oder »Warum bekomme ich einen Nervenzusammenbruch, wenn ich eine E-Mail bekomme?« beschäftigten sie monatlich aufs Neue. Dies lag, wie sie heute weiß, nicht nur am Zyklus, sondern eben auch an den herrschenden Lohnarbeitsmodellen. Zyklus und Job sind in vielen Fällen schlichtweg nicht kompatibel.
Auch wenn das Thema Zyklus nach und nach enttabuisiert wird, hat es in der heutigen Leistungsgesellschaft wenig Platz. Jankovska kritisiert, Zyklusgesundheit werde höchstens unter dem Aspekt von Produktivität und Optimierung angesprochen, etwa in Hinsicht darauf, wie der Zyklus positive Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit haben könnte. »Ich möchte meinen Zyklus nicht optimieren, ich möchte mir nicht überlegen, wie ich besser mit meinem Zyklus arbeite. Wäre es überhaupt nötig, seinen Zyklus zu kapitalisieren, wenn wir eine humanere Arbeitswelt hätten?«, schreibt Jankovska in ihrem Buch. Um weiter zu funktionieren, greifen menstruierende Personen während der zweiten Zyklushälfte zu Schmerzmitteln oder Antidepressiva. So auch Jankovska, die eine Zeitlang jeden Morgen während der Lutealphase Antidepressiva nahm.
Die Anti-Work-Bewegung
Eine Studie aus den Niederlanden aus dem Jahr 2017 hat gezeigt, dass Menschen, die trotz Menstruation zur Arbeit erscheinen, einen Produktivitätsverlust von durchschnittlich 33 Prozent verzeichnen. Während dies bei Bürojobs bereits signifikant ist, birgt der menstruationsbedingte Präsentismus – also trotz Unwohlseins oder Schmerzen zur Arbeit zu gehen – Gefahren für sich selbst und andere, wenn man etwa auf Baustellen arbeitet, in Fabrikhallen oder im öffentlichen Verkehr. Während hier eine Krankschreibung theoretisch möglich sei, drohe bei häufigem Fernbleiben praktisch eine Kündigung, so Jankovska.
Sie selbst konnte für sich eine Lösung finden, Arbeit und Zyklus besser in Einklang zu bringen, und ist in die Selbstständigkeit gewechselt. »Meine PMDS ist weggegangen, als ich angefangen habe, zyklusgerecht zu arbeiten und auf meinen Körper zu hören. Ich bin aus dem klassischen Erwerbssystem ausgestiegen. Aber klar, das kann natürlich nicht jede Person machen.« Besonders Menschen in Mindestlohnjobs, in Schichtarbeit oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen haben keinerlei Optionen, sich die Arbeit nach eigenen Bedürfnissen einzuteilen. Und auch selbstständige Erwerbsverhältnisse können prekär sein.
Aus dem klassischen Erwerbssystem auszusteigen ist eine Praxis, die mit der Anti-Work-Bewegung in Verbindung gebracht wird. Anti-Work ist eine Haltung, die wegen der entfremdeten Arbeitsbedingungen das klassische Konzept der Erwerbsarbeit ablehnt. Aus dem anarchistischen Spektrum stammend, hat Anti-Work oft einen feministischen Einschlag, wenn es darum geht, Zyklusgesundheit in den Mittelpunkt zu stellen.
Heutzutage treibt dieser Ansatz auch manch seltsame Blüten. »This is my career«, sagt etwa Jasmine Dinis auf Tiktok und meint damit die Mutterschaft und den Haushalt. Dinis bezeichnet sich als Tradwife, eine Abkürzung für »traditional wife«. Unter dem entsprechenden Hashtag finden sich auf Tiktok viele Kurzvideos, in denen sich junge Frauen als Mütter und Hausfrauen inszenieren, während der Mann für den Lebensunterhalt aufkommt. Der Lohnarbeit haben sie den Rücken gekehrt, ihre neuen – oder auch alt bekannten – Aufgaben erfüllen die Tradwives mit Hingabe. Dieses Konzept wird häufig fälschlicherweise in die Nähe der feministischen Anti-Work-Bewegung gerückt. Tradwives sind zwar nicht mehr von einem Lohn, aber dafür von der Gunst ihrer Männer abhängig. »Feministinnen mit Anti-Work-Haltung wollen nicht nicht lohnarbeiten, nur um dann unbezahlte Care-Arbeit zu leisten«, sagt Jankovska. »Die Anti-Work-Bewegung möchte unabhängig vom Geschlecht die Ideologie der Karriereleiter aufbrechen, gegen Lohnungleichheiten ankämpfen und die staatlichen Sozialleistungen ausbauen.«
Vier-Tage-Woche als Lösungsansatz
Die Anti-Work-Bewegung gibt also Impulse für eine geschlechtergerechte Umgestaltung der Arbeitswelt – aber wie genau soll das gehen? In Potenziell furchtbare Tage präsentiert Bianca Jankovka einige Lösungsansätze, unter anderem: »Eine Vier-Tage-Woche bei gleichem Gehalt. Und wir müssen aufhören, Teilzeitarbeit mit Faulheit gleichzusetzen.« Eine Vier-Tage-Woche bedeutet natürlich nicht, 40 Stunden in vier Tagen zu arbeiten, wie es von der deutschen Wirtschaftswissenschafterin Monika Schnitzer vorgeschlagen wurde. Vielmehr soll die Vollarbeitszeit, die in den meisten EU-Ländern zwischen 36 und 40 Stunden liegt, auf 30 bis 32 Stunden reduziert werden. Und zwar ohne Kürzung der Löhne. Davon ist Teilzeitarbeit insofern zu unterscheiden, als sie ebenso eine Verringerung der Arbeitsstunden mit sich bringt, allerdings mit einer proportionalen Verringerung des Entgelts. Teilzeitarbeit ist schlecht bezahlt, wird gesellschaftlich abgewertet und bietet wenige bis keine Aufstiegschancen. Und sie ist nach wie vor weiblich. Vor allem für Frauen mit Kindern unter 15 Jahren ist Teilzeit die häufigste Form der Erwerbsarbeit, da sich dadurch Job und Betreuungspflichten besser vereinen lassen. Laut Statistik Austria lag im Jahr 2022 die Teilzeitquote der 25- bis 49-jährigen Frauen mit Kindern unter 15 Jahren bei 73,8 Prozent. Dazu ist auch zu sagen, dass kürzere und lückenhafte Erwerbsbiografien das Risiko von Altersarmut erhöhen und die Abhängigkeit vom Partner verstärken.
Eine Frage, die immer wieder aufkommt, wenn von Reduzierung der Arbeitsstunden bei gleichem Lohn gesprochen wird, lautet: Hört die Welt, wie wir sie kennen, auf zu existieren, wenn wir alle plötzlich weniger arbeiten? »Laut Forschenden sind Wirtschaften auch dann stabil – auch wenn die Produktion so weit umgebaut wird, dass ökologische Grenzen weniger stark überschritten werden und daher das BIP abnimmt –, wenn gleichzeitig zentrale Gesellschaftsstrukturen und Institutionen grundlegend verändert werden«, schreibt Janvovska. Die zentralen Bedingungen für stabile Postwachstumsökonomien seien einerseits eine Verringerung des Angebots der Produktionsfaktoren Arbeit und natürliche Ressourcen, andererseits eine fixe Arbeitszeitverkürzung.
Auch andere Ideen der Anti-Work-Bewegung nimmt Jankovska auf, etwa ein staatlich finanziertes Grunderbe für alle oder »Menstrual Leave« als eine Form des Sonderurlaubs. Im Hintergrund steht für Jankovska dabei immer die Frage nach einer als sinnhaft empfundenen Arbeit und letztlich dem guten Leben. Aber was macht eine Arbeit, die uns befriedigt, aus? Jankovska weiß: »Das Problem ist oft gar nicht die Tätigkeit selbst, sondern das Abhängigkeitsverhältnis. Der Verlust von Autonomie, Würde und dem Verfügen über den eigenen Körper.« Um das wiederzuerlangen, braucht es Rahmenbedingungen und Strukturen, die es ermöglichen, die Arbeit nach den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zu gestalten. Ein Verständnis für den Zyklus von Menstruierenden und die Auswirkungen auf die Leistung sind dabei Grundvoraussetzung.
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