Das kleinste Ereignis

von Alfred J. Noll

Illustration: Dani Maiz

Auf den ersten Blick hält die anstehende Nationalratswahl für die österreichische Linke wenig zu gewinnen bereit. Wie lässt sich dennoch Zuversicht begründen?


3358 wörter
~14 minuten

Die Nationalratswahl am 29. September wird allenthalben als entscheidend für Österreichs Zukunft qualifiziert. Die FPÖ droht zur stimmenstärksten Partei zu werden. Damit stellt sich bei vielen eine Art Automatismus ein, auch gleich eine Regierungsbeteiligung der FPÖ als gewiss anzunehmen. Die Furcht ist nicht unbegründet, aber sie verfehlt die parteipolitische Problemlage: Diese besteht nicht vordergründig im absehbaren Stimmenzugewinn der FPÖ, sondern im Opportunismus der ÖVP und im notorischen Ansehens-, Hegemonie und Theorieverlust der SPÖ; anders gesagt: Der Treibstoff für die FPÖ wird von SPÖ und ÖVP bereitgestellt.

Durch Programmlosigkeit, schlechtes Personal und als intellektuell völlig uninspirierte Postenjägertruppe ist die ÖVP im Ansehen auch der eigenen Klientel weitgehend herabgesunken. Die Auflösung ehemals gefestigter katholischer Milieus und ländlicher Lebenswelten und die damit einhergehende »Befreiung« von traditionellen Üblichkeiten (siehe dazu auch den Beitrag von Grace Oberholzer) haben viele der ehedem dadurch Gefesselten derart »befreit«, dass diese nun auch bereit sind, dem gegen »das System« und »die Eliten« gerichteten »Aufbegehren« freiheitlicher Maulhelden ihren Zuspruch nicht länger zu verwehren. Dass sich die ÖVP deshalb in ländlichen Bereichen kaum der Verlockung entziehen kann, mit der FPÖ zu koalieren, hat hierin eine Grundlage. Die noch aus Zeiten des Austrofaschismus herrührenden Kontinuitätsfäden zerreißen, als Ersatz dafür kann die ÖVP lediglich die Propagierung konservativer »Werte« anbieten (Stichwort »Leitkultur«); diese aber werden nur die ohnedies im Übermaß bestehende Xenophobie und den damit einhergehenden Autoritarismus der FPÖ unterfüttern.

Dazu kommt, dass die konkreten politischen Steuerungsmöglichkeiten infolge der Globalisierung und Europäisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft ständig abnehmen und selbst die in Wahlkampfzeiten abgegebenen Versprechen der ÖVP hohl klingen – und an Durchsetzungsmöglichkeit ermangeln. Die ÖVP wird sich in Hinkunft also noch stärker auf politische Folklore, situative Postenschacherei, auf die generelle Herabwürdigung fortschrittlicher Gesellschaftspolitik und auf das gewohnte hysterische Gekreische reduzieren, wenn Maßnahmen zur Beseitigung bestehender sozialer Ungleichheiten und ein rationaler Stoffwechsel zwischen Natur und Gesellschaft gefordert werden. Gleichzeitig wird sie – quasi als Programm- und Personalsubstitut – die zunehmenden autoritären Tendenzen in Staat und Gesellschaft befördern. Opposition kann für die ÖVP keine realpolitische Möglichkeit sein, sie muss regieren – und sie wird regieren, einerlei mit wem.

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