Klimabewegung im Winter

von Johannes Greß

451 wörter
~2 minuten
Klimabewegung im Winter
Manuel Grebenjak (Hg.)
Kipppunkte
Strategien im Ökosystem der Klimabewegung
Unrast, 2024, 400 Seiten
EUR 23,50 (AT), EUR 22,00 (DE), CHF 29,50 (CH)

Österreichweit demonstrierten im September 2019 rund 150.000 Menschen mit Fridays for Future (FFF) für mehr Klimaschutz, der (bisherige) Höhepunkt der österreichischen Klimabewegung. Der Druck der Straße dürfte für die Nationalratswahl einen Monat später nicht unerheblich gewesen sein. Der als »Klimawahl« betitelte Urnengang brachte den Grünen den Wiedereinzug ins Parlament und in der Folge die Regierungsbeteiligung samt Klimaschutzministerium. Dennoch blieben die großen klimapolitischen Würfe aus, innerhalb von FFF setzte eine gewisse Ernüchterung ein, Aktivist:innen zogen sich (auch aus Ressourcenmangel) aus der Organisation zurück. Es folgte eine Phase der strategischen Orientierungslosigkeit und schließlich das Ende der wöchentlichen Streiks. Die Corona-Pandemie sorgte dann dafür, dass FFF und mit ihr nahezu die gesamte Klima(gerechtigkeits)bewegung noch weiter an Aufmerksamkeit verlor.

Die Klimakrise ist dringlicher denn je, die Klimabewegung schwach wie lange nicht. So lautet die bittere wie paradoxe Diagnose des Jahres 2024. Wohlmeinend formuliert befindet sich die Klimabewegung im deutschsprachigen Raum in einem »Findungsprozess«. Manuel Grebenjak, der Herausgeber des Sammelbands Kipppunkte spricht von einer Krise. »Anfang 2024«, schreibt Grebenjak, »befindet sich die Klimabewegung mitten in einem Winter.« Es fehle an Mobilisierungskraft und gesellschaftlichem Rückhalt, innerhalb der Bewegung herrsche Ernüchterung, und andere Krisen überlagerten das Geschehen.

In dem Sammelband liefern neben Grebenjak mehrere Dutzend Wissenschafter:innen und Aktivist:innen eine Standortbestimmung der Klimabewegung im deutschsprachigen Raum. Herzstück bildet eine Sammlung von Porträts der zentralen Protagonist:innen der Bewegung, von FFF über das Klimavolksbegehren bis zu Lobau bleibt und der Letzten Generation. Grebenjak kontextualisiert die Porträts theoretisch wie historisch und macht sie einer kritischen Reflexion zugänglich. Denn eine solche, darüber herrscht von der ersten bis zur letzten Seite Einigkeit, ist dringlicher denn je.

Die Krise der Klimabewegung werde dadurch verschärft, dass mit der Letzten Generation eine Organisation auf den Plan trat, die zwar – mit geringen Ressourcen – mediales Aufsehen in einem bisher unerreichtem Maß erregen konnte, aber nicht nur den Frühverkehr, sondern auch die Bewegung als Ganzes blockiere, wie einige Autor:innen im Band kritisieren. Durch die in ihrem Auftreten, aber keineswegs in ihren Forderungen radikal wirkende Letzte Generation sei viel mühsam erarbeitetes Vertrauen zerstört worden – was sich negativ auf die gesamte Bewegung auswirke.

Herausgeber Grebenjak schafft es in den Schlusskapiteln in nüchterner, nachvollziehbarer Sprache, die vielschichtigen Beiträge zu ordnen, zu systematisieren und somit Klarheit in eine verworrene, teils hitzig geführte Debatte zu bringen. Perspektiven und Potenzial sieht Grebenjak insbesondere in Bündnissen, die die Umwelt- und Klimakrise als soziale Frage artikulieren, beispielsweise solchen aus Gewerkschaften und Teilen der Klimabewegung. »Ein neues Aufblühen der Bewegung ist möglich«, schreibt Grebenjak. Vor der Blüte aber muss erstmal der Winter überstanden werden.

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