Die Swiftification des US-Wahlkampfs

von Maria von Usslar

Fotos: Maria von Usslar

Die junge Wahlhelferin Nicole ist sich sicher, dass Popstars wie Taylor Swift zum Wahlerfolg von Kamala Harris beitragen werden. Dennoch setzt sie auf das traditionelle Türklopfen. Eine Reportage aus Seattle.


1314 wörter
~6 minuten

Es ist Anfang August, die Vorwahlen im US-Bundesstaat Washington finden in wenigen Tagen statt. Für Nicole steht heute der »Get out to vote«-Auftakt (GOTV) der Demokraten an. Die Veranstaltung findet in einer ehemaligen Maschinenhalle in Seattle statt, zu der Straßen mit leerstehenden Häusern, Reifenwerkstätten und Fuhrparks führen. 

Nicole schnappt sich das Schild »DelBene – Democrat for Congress« und mischt sich unter die etwa 150 Menschen – unter ihnen Highschool-Schüler:innen und Pensionisten:innen. Ein Fotograf schiebt einen Klappstuhl vor sich, stellt sich drauf und dirigiert die Menge, bis das Bild ausgewogen ausschaut – wo noch eine Lücke ist, kommt ein Schild hin. 

Danach werden die Anwesenden geschäftig, einige werden mit Laptops und Headsets ausgestattet und legen mit »Phone Banking« los. Manche holen sich ein Stück Pizza aus dem Kartonstapel. Nicole ist in Bellevue zum Türklopfen eingeteilt, andere strömen in die direkte Nachbarschaft von South Park aus. Während in einigen Stadtteilen von Seattle zur Präsidentschaftswahl 2020 zu über 90 Prozent demokratisch gewählt wurde, sind es in South Park und Bellevue, »nur« 70 bis 80 Prozent. Wenn es was zu holen gibt, dann dort.

Der politische Wert von Insta-Herzchen

Allerdings spielt das gar keine so große Rolle, denn ein erheblicher Anteil des Wahlkampfs konzentriert sich allein darauf, Menschen, die man auf seiner Seite wähnt, ans Registrieren und dann auch an den Urnengang zu erinnern. Beim Motto »Get out to vote« setzt auch Taylor Swift an, von der sich manche Demokraten dank ihrer Popularität besonders viel Einfluss erwartet hatten. 

Nicole ist selbst Swiftie und gibt zu, dass sie bereits sehnlichst darauf gewartet hat, dass der Megapopstar eine klare Wahlempfehlung abgibt. Unmittelbar nach dem ersten TV-Duell zwischen Harris und Trump ist es dann endlich so weit. Swift inszeniert sich auf Instagram als »Cat Lady« und ruft zum Registrieren auf. Elf Millionen User:innen geben dem Bild ein Herz. Aber was ist ein Instagram-Herzchen bei politischen Wahlen schon wert? 

Im Gegensatz zum tatsächlichen Wahlverhalten ist Swifts Einfluss auf die Registrierungen messbar: Auf den Link »vote.org« unter dem Katzenbild klickten innerhalb der nächsten 24 Stunden rund 406.000 Nutzer:innen. Das klingt viel, ist bei einer Wähler:innenschaft von rund 160 Millionen Menschen aber noch immer gering. Swift ist allerdings nicht allein. Auch Beyoncé, Billie Eilish, Charlie XCX und Olivia Rodrigo gehören zu den berühmten Unterstützerinnen von Harris und schüren Hoffnungen, dass sich die Gen Z durch sie noch weiter politisieren lässt.

Sosehr sich Nicole über das Endorsement ihrer Stars freut, ist die popkulturelle Inszenierung des Wahlkampfs auch unheimlich für sie: »Ich frage mich, wie viel Einfluss meine Arbeit hat, wenn ich sehe, wie viele Menschen über ein einziges Posting von Taylor Swift reden.«

Wahlkampf mit Skript

Nicole ist Puerto Ricanerin und kann ihre eigene Politisierung übrigens im Nachhinein genau bestimmen. 2017 zog Hurrikan Maria über ihre Heimatinsel. Etwa 2975 Menschen verloren vor allem an den Folgen des Sturms ihr Leben. Der US-Regierung unter Donald Trump wurde vorgeworfen, viel zu schleppend reagiert zu haben. 

Dennoch inszenierte sich Trump bei einem Besuch als großer Retter und warf ein paar Küchenrollen in die Menge der Opfer. Durch seine Gestik und Mimik sah es aber eher aus, als würde er im Hinterhof ein paar Körbe werfen. Für Nicole eine Metapher, die nicht treffender hätte sein können: Papiertücher gegen ein Haus unter Wasser und ohne Dach und Strom! Das war der Moment, als sie sich gegen die Partei ihrer Eltern stellte. Inzwischen setzt sie sich gegen die Klimakrise ein und arbeitet für die Kongressabgeordnete Suzan DelBene. 

Nachdem 2017 der Hurrikan Maria über ihre Heimatinsel Puerto Rico gezogen war und die Regierung Trump nur wenig gegen die Folgen der Katastrophe getan hatte, begann Nicole, sich gegen die Klimakrise zu engagieren.

Eigentlich haben die Demokraten den Ruf, gut »im Feld« aufgestellt zu sein, doch als die Wahl 2020 mit der Covid-Pandemie zusammenfiel, waren sie sehr zögerlich, was direkten Kontakt an der Tür betrifft. Donald Trump hatte schon im August stolz verkündet, dass sein Team allein in Florida bereits an eine Million Türen geklopft habe. Zwei Monate später nahmen die Demokraten den Türwahlkampf überhaupt erst wieder auf. Letztendlich hat aber bekanntlich Joe Biden die Wahl gewonnen, was dazu führte, dass diese Wahlkampfmethode massiv infrage gestellt wurde. Doch was passiert überhaupt im Feld?

Im Foyer eines Bürogebäudes in Bellevue, einem Viertel mit Alleen und Gated Communitys, treffe ich neben Nicole und ihrer Kongressabgeordneten auf fünf Freiwillige. Sie erhalten eine Einführung ins Türklopfen. Das, was sie lernen, ist ernüchternd: Man solle sich zuerst mit vollem Namen und klarer Absicht vorstellen, dann ist ein einziger Satz für »deine persönliche Geschichte« vorgesehen. Alles andere steht in einem Skript in der App »Minivan«. Dieses wird für jede Person, die die Tür öffnet, automatisch erstellt – die Kunst beim Ablesen ist, nicht robotisch zu klingen. Da wir uns im August noch im Vorwahlkampf befinden, sind im Skript die Namen von einem halben Dutzend Lokalpolitiker:innen aufgelistet, und jeder einzelne soll im Verlauf des Gesprächs fallen, um im Gedächtnis zu bleiben. Zeit pro Kontakt? Nicht mehr als fünf Minuten, lautet die Regel. Nicht diskutieren, lautet eine andere.Bevor wir nach einigen Kinderarztpraxen und Schönheitskliniken und den dazugehörigen enormen Einfahrten zu einem Privathaushalt gelangen, werde ich von der Pressestelle der Seattle Democrats ans Handy gebeten. Was wirklich an der Tür passiert, soll geheim bleiben, ich muss gehen. Ich frage nach, wie sich Nicole und die anderen einen Weg durch die Beauty-Kliniken bahnen. Die App würde ihnen eine Karte ausspucken, mit den Adressen und einer optimalen Route. Dort kann man Name, Alter und Geschlecht der Personen und sogar bereits zuvor angegebene Parteipräferenzen nachschlagen oder nachtragen. So entstehen also die Terabytes an Informationen über US-Wähler:innen! 

Und Daten sind unverzichtbar. Sie zeigen etwa, warum die Demokraten auf junge Frauen im Wahlkampf 2024 setzen sollten. Kamala Harris hat bei unter 30-jährigen Frauen laut einer Harvard-Studie derzeit einen Vorteil von 47 Prozentpunkten. 

Wo ist das weibliche, junge Publikum?

Wie erreicht man noch mehr junge Frauen? An dieser Stelle kommen die Popstars wieder ins Spiel. Ich frage einige von den 15.000 überwiegend weiblichen Besucher:innen eines Olivia-Rodrigo-Konzerts in Seattle, ob ihnen bewusst ist, wofür Rodrigo stehe. Vor allem die Teenager kennen ihre politischen Ansichten gar nicht, erfahre ich. Und das, obwohl ich das Konzert nicht zufällig gewählt habe. Denn Rodrigo hat bereits damit Schlagzeilen gemacht, dass Mitarbeitende bei ihren Konzerten »die Pille danach« verteilt haben. Und Reproduktionsrechte sind ein Thema, bei dem die Positionen von Republikanern und Demokraten besonders auseinanderklaffen. 

Gracie findet, Stars seien nicht dazu da, jemanden zu belehren: »Olivia macht das auf eine angenehme Art und Weise. Man weiß zwar, wofür sie steht, muss aber nicht einverstanden sein, um Fan zu sein.« Die 17-jährige Avia und rückt die Darstellung der Stars in eine andere Perspektive: »Künstler:innen müssen ja immer abwägen, ob es ihnen das etwas bringt oder schadet, wenn sie sich politisch äußern.«

Unter den Besucher:innen, die bereits 2020 wahlberechtigt waren, finde ich übrigens niemanden, der zugibt, dass die Positionen der Künstler:innen einen Einfluss auf ihr Fandom hätten. »Außer es ist wirklich radikal«, sagt Matthew. Niemand der Befragten bekennt sich übrigens zu den Republikanern.

Wenn hier Politisierung stattfindet, dann wohl ziemlich unterbewusst und damit schwer messbar – so bleibt die Frage, wie sehr sich die Generation Z wirklich über Popkultur und Instagram politisch mobilisieren lässt. Im Vergleich dazu bekommt man beim Tür-zu-Tür-Wahlkampf zumindest auswertbares Datenmaterial.

Die Recherche fand im Rahmen der Fjum-Summerschool zu konstruktivem Journalismus statt, für die Maria von Usslar ein Stipendium erhielt. Die Reise nach Seattle wurde von der Medieninitiative der Stadt Wien finanziell unterstützt. 

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