Nicht allein

von Norma Schneider

Foto: Norma Schneider

Die queere Community im Klaipėda schafft sich Räume für ein angstfreies Anders-Sein. Eine Reportage aus Westenlitauen.


2627 wörter
~11 minuten

Es ist erst sieben Uhr morgens, und Kiril hat trotzdem schon gute Laune. Zusammen mit seinem Freund fährt er an diesem Samstagmorgen im Juni von Vilnius aus an die litauische Ostseeküste, in die Hafenstadt Klaipėda, wo er aufgewachsen ist. Als Jugendlicher hat sich der heute 27-jährige Kiril dort oft sehr einsam gefühlt. »Ich habe auf der Straße nie queere Menschen gesehen oder Männer, die Händchen halten. Also dachte ich: Ich bin allein, und etwas stimmt nicht mit mir. Es gab damals nicht mal eine gute Internetverbindung, und ich wusste nicht, was mit mir los ist. Das war eine harte Zeit.«

Während in der Hauptstadt Vilnius Anfang Juni mehr als 10.000 Menschen an der Pride-Parade teilnahmen, wäre das in Klaipėda undenkbar. »In Vilnius findet man an jeder Ecke etwas LGBTQ-Freundliches, Regenbogenflaggen und so weiter. Hier ist das nicht so. Hier ist es so viel schwerer«, sagt Kiril. Dass Litauen zu jenen Ländern Europas gehört, in denen es queere Menschen besonders schwer haben – das spürt man weniger in der Hauptstadt, aber dafür umso mehr im Rest des Landes. Fast die Hälfte der litauischen Bevölkerung gab 2023 an, dass sie Homosexualität für eine »unsittliche Ideologie« hält, nur 22 Prozent sprachen sich für LGBTQ-Rechte aus.

Etwa 160.000 Menschen leben in Klaipėda, es ist die drittgrößte Stadt des Landes. Doch man hat nicht den Eindruck, in einer Großstadt zu sein, wenn man durch die gepflasterten Straßen geht, vorbei an Fachwerkhäusern aus dem 18. Jahrhundert, als Klaipėda noch Memel hieß und zu Preußen gehörte. Unterwegs trifft man Tourist:innen mit Fotoapparaten und Jugendliche, die auf Bänken sitzen und Musik hören. Die Wohngebiete von Klaipėda bilden einen Kontrast zu den historischen Gebäuden im Zen­trum. Minutenlang fährt Kiril durch Straßen, an denen sich ein Wohnblock an den nächsten reiht, vielen von ihnen sieht man an, dass sie seit Sowjetzeiten dort stehen. »Hier hatte ich mein Coming-out«, sagt Kiril und zeigt aus dem Autofenster auf einen Parkplatz zwischen zwei Wohnblöcken. Mit 19 hat er sich dort seinen engsten Freund:innen anvertraut, er wohnte damals ganz in der Nähe. Er bereut den Schritt nicht. »Jetzt ist es viel besser. Ich bin ziemlich glücklich.«

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