Sound und Haltung

von Jens Kastner

Die Hamburger Schule krempelte die deutschsprachige Musik um und gab der Pop-Linken eine Stimme. Jonas Engelmann erzählt in seinem neuen Buch ihre Geschichte.

Vor einigen Jahren setzte der Journalist Christof Meueler mit Das Zickzack-Prinzip (2016) dem Labelbetreiber Alfred Hilsberg ein publizistisches Denkmal. Ohne ihn hätte es das Phänomen Hamburger Schule, das die deutschsprachige Musik maßgeblich prägen sollte, wohl nicht gegeben. Auch wenn Hilsberg mit seinen Plattenlabels Lage d’Or und What’s So Funny About viele der Hamburger Bands promotet hat, war er alles andere als ein Direktor oder Hausmeister einer fixen Institution dieses Namens. Was die Hamburger Schule eigentlich ausmacht, war und ist durchaus umstritten. Meueler schreibt: »Die Hamburger Bands wollten sich zu diesem Begriff nur unter der Hand bekennen; offiziell fanden sie ihn peinlich.« Auch in Jonas Engelmanns aktuellem Buch über die Geschichte der Hamburger Schule wird deutlich, dass solche Sammelbegriffe sich nie ganz widerspruchsfrei füllen lassen und immer vereinheitlichen und Stile zu einer Kategorie zusammenpappen, die in Wirklichkeit sehr verschieden sind. Engelmann lässt die Protagonist:innen ausführlich selbst zu Wort kommen, seiner Geschichte liegen unzählige Interviews zugrunde. Viele dieser Protagonist:innen kamen aus der Provinz in die Großstadt, um Musik zu machen, es fand ein ungeheurer Braindrain Richtung Hamburg statt.

In Hamburg war Ende der 1980er-Jahre eine Musikszene entstanden, die stilistisch zwischen den beiderseits kommerziell wenig erfolgreich Polen Bernd Begemann und Tilman Rossmy (Sänger der Band Die Regierung) auf der einen und der Band Kolossale Jugend auf der anderen Seite oszillierte. Die Hamburger Schule, das klingt in Engelmanns Buch zumindest so durch, war aber weniger ein Musikstil als ein Sound und eine Haltung. Eine Haltung, die nach Engelmann nicht zufällig in Hamburg mit seiner Geschichte der soziokulturellen Kämpfe um die Hafenstraße Anfang der 1980er-Jahre und um das 1989 besetzte Stadtteilzentrum Rote Flora entstanden ist. So wie sie sich im Hamburger Stadtteil St. Pauli verorten lässt, sogar in einzelnen Läden wie der Kneipe Sorgenbrecher, ist sie, wie Popmusik schlechthin, auch ein mehr oder weniger grenzenloses Phänomen. So war sie auch konzipiert, und so trat sie auf: Grenzen infrage stellend, Zugehörigkeiten verweigernd, Neues ausprobierend. Ein irgendwie linkes Politikverständnis war das Grundrauschen, aus dem sich die Szene entwickelte und eine Haltung produzierte, die in selbstorganisierte Konzerte und Plattenfirmen, in Kneipenbesuche und in Diskussionen über das Politische im Privaten und umgekehrt mündete. Wie Kneipen und Konzertsäle gehören auch bei den Bands mehr als nur die immer genannten (Blumfeld, Die Sterne und Tocotronic) zum Phänomen Hamburger Schule. Darunter Gruppen mit Namen, die nicht für den Eingang in die Popgeschichte gemacht waren, wie etwa Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, Hallelujah Ding Dong Happy Happy oder Huah!.

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