Ende September hat Österreich gewählt. Besser gesagt, ein Teil der in Österreich lebenden Bevölkerung. Denn fast drei Millionen Menschen sind vom Wahlrecht bei Nationalratswahlen ausgeschlossen. Zum einen trifft das verständlicherweise auf rund 1,4 Millionen Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren zu. Zum anderen auf etwa genauso viele Erwachsene, die zwar hier leben, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Zudem gibt es noch eine nahezu gleich große Gruppe, die zwar wahlberechtigt ist, aber der Wahlurne zuletzt aus freien Stücken fernblieb. Nimmt man es also statistisch ganz genau, hat nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Österreich ein neues Parlament gewählt.
Die Zahl der Nichtwahlberechtigten wächst stetig und umfasst vor allem eine bestimmte sozioökonomische Gruppe: Arbeiter:innen. Studien zufolge verfügt österreichweit mehr als ein Drittel aller Arbeiter:innen über kein Wahlrecht, in Wien sind es sogar knapp 60 Prozent. Es sind Hunderttausende, die nicht selten hier geboren wurden, ihren Lebensmittelpunkt haben, Güter und Dienstleistungen produzieren, Steuern zahlen, zum Wohlstand beitragen. Und dennoch dürfen sie bei nationalen Wahlen nicht mitbestimmen. Dadurch droht die Entfremdung von einem demokratischen System, das sich als geschlossene Gesellschaft für Autochthone präsentiert.
Die Nichtwähler:innen hätten bei dieser Wahl knapp vor der FPÖ den ersten Platz errungen. Auch sie stammen hauptsächlich aus sozioökonomisch unterprivilegierten Schichten. So haben bei der letzten Nationalratswahl 2019 über 40 Prozent der Wahlberechtigten aus dem untersten Einkommensdrittel nicht gewählt, aus dem obersten waren es lediglich 17 Prozent. Über deren Motive kann oft nur gemutmaßt werden, doch auch viele Nichtwähler:innen empfinden das demokratische System als geschlossene Gesellschaft – allerdings für die Reichen und Mächtigen, die es sich ohnehin richten.
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