Der italienische Historiker Enzo Traverso arbeitet seit vier Jahrzehnten zu Fragen des Antisemitismus, der Moderne und der Rolle der Gewalt im Europa des 20. Jahrhunderts. Gerade erst erschien seine Essaysammlung »Gaza im Auge der Geschichte« im Berliner Verlag Wirklichkeit Books. Wir veröffentlichen einen Auszug.
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Die Erinnerung an den Holocaust wird in den Ländern der Europäischen Union wie eine zivile Religion der Demokratie und Menschenrechte rituell gewürdigt. Heute verliert sie zunehmend ihre ursprüngliche Bedeutung und gilt der Verteidigung Israels und der Bekämpfung des Antizionismus, der als eine Form des Antisemitismus angesehen wird. Angela Merkel und Olaf Scholz haben beide wiederholt bekräftigt, dass die bedingungslose Unterstützung Israels die »Staatsräson« der Bundesrepublik Deutschland sei. Seit dem 7. Oktober hat die Regierung Scholz, flankiert von den Medien im Land, eine Hexenjagd gegen jede Form der Solidarität mit Palästina ausgerufen. Mehrere junge Deutsche (darunter mehrere mit palästinensischer Herkunft) wurden wegen einer Demonstration mit palästinensischer Flagge in Polizeigewahrsam genommen, was zu Protesten mehrerer jüdischer Persönlichkeiten führte, die wichtige kulturelle Einrichtungen leiten. Auch hier gilt jedoch, dass Deutschland nur der extreme Ausdruck eines breiteren Trends ist. So erklärt sich, warum vor allem in den USA viele Jüdinnen und Juden sagen: »Nicht in meinem Namen.«
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