Wohin nach X?

von Raphaela Edelbauer

Illustration: Lou Kiss

Dass massenhaft reichweitenstarke Accounts die Plattform X verlassen, sollte Anlass sein, unsere Mediennutzung insgesamt neu zu denken.


607 wörter
~3 minuten

Schon im November 2024 hatte der Guardian als bedeutendes Medienhaus angekündigt, die von Elon Musk zugrunde gerichtete Plattform X zu verlassen. Noch im selben Monat folgten dem Aufruf des ZiB 2-Moderators Armin Wolf zahlreiche österreichische Journalist:innen: Sie verließen ein soziales Medium, das ihnen ehedem noch als Twitter als das wesentliche Organ ihres öffentlichen Auftritts gedient hatte – allein Wolf wandte sich an 640.000 Follower. Auch in der Kulturszene führte die Aktion »eXodus« zu einem Massenaustritt von Personen des öffentlichen Lebens.

»Twitter – heute X – ist ein toxischer Ort geworden, eine Brutstätte von Rechtsextremismus, Wissenschaftsleugnung, Hass und Verschwörungserzählungen. Ein Ort, wo der Betreiber der Plattform dergleichen nicht nur duldet, sondern aktiv fördert und propagiert«, schrieb der Mitinitiator der Aktion, der Philosoph und Schriftsteller Jan Skudlarek. Und von der Fernsehmoderatorin Dunja Hayali über den Publizisten Max Czollek bis zur Journalistin Hanna Herbst haben zahlreiche große Accounts ihre Tätigkeit eingestellt. Dass dies eine durchweg richtige Entscheidung war, haben die Entgleisungen des X-Besitzers Elon Musk gezeigt, dessen Hitlergruß bei einer Veranstaltung zur Amtseinführung von Donald Trump nur eine von vielen Abseitigkeiten der letzten Monate darstellt.

Doch seitdem hat sich einiges getan: Nicht nur hat sich Mark Zuckerberg im Jänner dem Trump-freundlichen Kurs angeschlossen, indem er erklärte, die vermeintlich demokratiefeindliche Einrichtung der Faktenchecker abzuschaffen. Auch die CEOs von Tiktok (Shou Chew), Youtube (Neal Mohan), Google (Sundar Pichai) sowie Apple-Chef Tim Cook nahmen an Trumps Inauguration Teil und spendeten mitunter erhebliche Summen, um den neuen Mann im Weißen Haus willkommen zu heißen.

Während ein massenhafter Meta-Austritt, ein Stilllegen von Instagram- und Facebook-Accounts also, der nächste logische Schritt scheint, drängt sich die Frage auf, wie weit ein solcher Boykott ausgedehnt werden kann. Müsste man nicht konsequenterweise die Millionen Gmail-Accounts ebenso überdenken? Oder ob man für einen Apple-Laptop tausende Euro an einen Konzern zahlt, dessen CEO letzten Monat einen »Deal« mit Trump über die Investition von 500 Milliarden Dollar besprochen hat? Oder müssen wir in einer Art Boykott-Triage die reinen Opportunisten ignorieren, da sich so viele Tech-Konzerne gleichzeitig an den neuen Präsidenten anbiedern, dass es unmöglich wäre, die gesamte Infrastruktur auf einmal auszutauschen?

Die Frage, wer das Vakuum, das sich hier ergibt, ad hoc füllen soll, bleibt indessen unbeantwortet. Da wäre in der Sphäre der sozialen Medien zunächst einmal Bluesky zu nennen, das von zehn Millionen Nutzer:innen im September 2024 auf knapp 28 Millionen im Jänner 2025 einen gewaltigen Wachstumsschub erlebte. Das dezentrale System ist zwar der auf positive Weise radikale Gegenentwurf zu Musks X – die unbeantwortete Frage ist aber, wer in absehbarer Zeit eine ähnliche Alternative zu den anderen sozialen Netzwerken anbieten wird. Denn um Videos oder bildbasierte Inhalte zu posten, fehlt momentan ebenso ein ernstzunehmender Konkurrent zu Meta wie zu Facebooks Event-Funktion, die in der Kultur- und Gastronomiebranche wenigstens in gewissen demografischen Schichten unabdingbar ist. Die Insta-Alternative Pixelfed wächst zwar, hat aber immer noch nur gut eine halbe Million User, und ältere Dienste wie Tumblr wieder aus der Versenkung zu holen, wäre eine medientechnische Herkulesaufgabe.

Gerade Bilder und ihre Verbreitung scheinen, da sie das Vehikel des Verkaufsgeschehens im World Wide Web sind, so innig mit den multinationalen Konzernen verbunden, dass eine dezentrale visuell orientierte Plattform kaum denkbar scheint. Vielleicht könnte das entstandene Vakuum aber auch ein Anlass sein, die Mediennutzung insgesamt neu zu denken: Nachdem zahlreiche Studien eine Korrelation zwischen Instagram-Konsum und Depressionen sowie Angsterkrankungen festgestellt haben, müsste die Frage lauten, ob es überhaupt zwangsweise eine Alternative geben soll. Vielleicht ist die Idee dauernder Bespaßung durch die Plattformen von omnipräsenten Tech-Bros schlicht und ergreifend überkommen.

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