Sepp Filz anlässlich des Anblasens des ersten Hochofens nach der Befreiung in Leoben am 10. August 1945. (F.: Clio)

Alternativer Neuanfang

von Heimo Halbrainer

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernahmen Partisanen die Verwaltung des obersteirischen Bezirks Leoben. Doch diese Phase antifaschistischer Selbstermächtigung sollte nicht lange dauern.


2072 wörter
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Am 23. und 24. Juli 1945 lösten die britischen Truppen die sowjetischen als Besatzungsmacht in der Steiermark ab. Eine Woche später erschien in der Neuen Steirischen Zeitung eine Erklärung der britischen Militärregierung, in der es hieß, dass nach dem Übereinkommen mit den Leitern der drei politischen Parteien (ÖVP, SPÖ und KPÖ) die 1943 in Trofaiach gegründete kommunistische Partisanengruppe Österreichische Freiheitsfront (ÖFF) ab dem 4. August aufgelöst werde. »Dieser Entschluss bedeutet keineswegs, dass man die Dienste, die diese Bewegung zur Befreiung geleistet haben, unterschätzt; er bedeutet vielmehr, dass nach der Besetzung Steiermarks durch die alliierten Streitkräfte Ruhe und Ordnung durch die Militärregierung und die ordentliche Polizei garantiert werden und dass nunmehr im Rahmen der normalen politischen Parteien für die Entwicklung der politischen Ideen der Widerstandsgruppen Raum ist. Aus diesem Grunde haben diese jetzt keinen Zweck mehr. Vom 4. August an darf sich kein Mitglied der Bewegung irgendwelche Amtsgewalt anmaßen oder unbefugt ausüben. Auch ist es verboten, irgendwelche Uniformen, Armbinden oder Abzeichen zu tragen.«

Damit endete im Bezirk Leoben ein Experiment des politischen Neubeginns, das es in dieser Form in ganz Österreich nicht gab. Die ÖFF konnte bei ihrer Auflösung im August 1945 auf eine mehr als zweijährige Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus im Bezirk Leoben und Bruck an der Mur mit Anschlägen auf die Infrastruktur und Überfälle auf lokale Nationalsozialisten zurückblicken.

Mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes übernahmen die Kämpfer der Freiheitsfront, nachdem sie die Umsetzung des sogenannten Nero-Plans, die Sprengung der Industrieanlagen, verhindert hatten, die Macht im Bezirk, wie der Direktor des Hüttenwerks der Alpine Montan-Gesellschaft, Bernhard Matuschka, anlässlich der Wiederinbetriebnahme des Werkes am 25. Juni 1945 berichtete: »Am denkwürdigen 8. Mai 1945 erschien der Führer der Österreichischen Freiheitsbewegung in Leoben Sepp Filz, direkt aus den Bergen kommend, bei uns in unserer Direktion. Es wurde beschlossen, den Werkschutz aufzulösen, und seine Waffen wurden unverzüglich den Kämpfern der Österreichischen Freiheitsfront übergeben. Dadurch wurde es den Freiheitskämpfern ermöglicht, die Eroberung der Polizeidirektion so wie die der anderen Behörden von Leoben durchzuführen (…).«

Politisches Vakuum

An diesem 8. Mai begann die ÖFF in Leoben auch damit, das politische Vakuum, das nach der Flucht großer Teile der nationalsozialistischen Eliten entstanden war, zu beseitigen und eine öffentliche Verwaltung nach ihrer Konzeption in der Stadt und schließlich im ganzen Bezirk aufzubauen. So wurden alle nationalsozialistischen Beamten ihrer Ämter enthoben und durch Widerstandskämpfer bzw. politisch integre Personen ersetzt. Wo dies nicht möglich war, ließ sie die Ämter durch Beiräte kontrollieren. So stellte etwa Sepp Filz unmittelbar nach der Besprechung mit Direktor Matuschka diesem einen aus einem Kommunisten, einem Sozialisten und einem Christlichsozialen zusammengesetzten Beirat zur Seite, ohne dessen Zustimmung der Direktor nichts unternehmen konnte. Zudem wurde die Tätigkeit der Gendarmerie im Bezirk Leoben vorläufig eingestellt, nicht tragbare Gendar- men außer Dienst gestellt, und Antifaschisten, die von der Freiheitsfront Waffen und gestempelte Armbinden erhielten, wurden als neue Ordnungspolizei dem Sicherheitsdienstleiter der jeweiligen Gemeinde unterstellt, die nun »alle politischen Aufgaben (Verhaftungen, Fahndungen, Beobachtungen, Arbeitseinsatz der Nazi usw.) durchzuführen« hatten.

In Leoben wurde als oberstes ÖFF-Organ ein paritätisch zusammengesetzte Dreier-Ausschuss mit einem Kommunisten, einem Sozialisten und einem Christlichsozialen gebildet, dem der Führer der Partisanen Sepp Filz als Leiter bis zur Auflösung der ÖFF vorstand. Ende Mai wurde zudem noch ein Siebener-Ausschuss eingerichtet, in dem die Verantwortlichen für die Bereiche Ernährung, Handel-Gewerbe-Industrie, Wirtschaft, Verkehrswesen, Sicherheit, Gesundheitswesen und Schulwesen saßen. Daneben gab es noch den großen ÖFF-Vertrauensrat, in dem neben den Mitgliedern des Dreier- und Siebener-Ausschusses auch noch der Bezirkshauptmann und der Bürgermeister der Stadt Leoben vertreten waren.

Diese Struktur sollte aber nicht nur auf die Stadt Leoben beschränkt bleiben. Die Idee der Freiheitsfront als Bewegung von unten wurde auch in alle Gemeinden des Bezirks getragen. In dem Rundschreiben hieß es dazu: »In vielen kleineren Orten des Bezirkes besteht noch kein Freiheitskomitee und kein Dreierausschuss, oder das Freiheitskomitee ist nicht nach der Dreierparität aufgestellt. In manchen Orten werden die Arbeiten, die sonst der ÖFF zustehen, vom Bürgermeister und Gemeindeausschuss erledigt. Der Bürgermeister und der Gemeinderat haben vor allem verwaltungsmäßige, fürsorgliche und wirtschaftliche Aufgaben. Es ist zumindestens notwendig, dass ein Dreierausschuss neben und über dem Bürgermeister steht, der die Maßnahmen zur politischen Umgestaltung und Überwachung aller politischen Vorgänge und die Verhaftungen der Nazi leitet und kontrolliert. (…) Der Ausschuss hat auch im Einvernehmen mit dem Bürgermeister für die kommissarische Besetzung aller Nazibetriebe und -geschäfte zu sorgen. Weiters hat er alle Maßnahmen zu beschließen und durchführen zu lassen für die Normalisierung des öffentlichen Lebens, und die Wiederingangsetzung der Wirtschaft. Hierher gehört auch die Sicherstellung von Fahrzeugen, Lebensmittel usw. Der Dreierausschuss bewacht auch die Wiedergutmachung der aus den Gefängnissen und KZ-Lagern kommenden Antifaschisten. Er hat für die rasche Verteilung der Naziwohnungen zu sorgen. Er hat die Aufgabe, die Nazi zu Zahlungen für den öffentlichen Wiederaufbau und für die Wiedergutmachung heranzuziehen.«

Zur Unterstützung dieser Vorhaben gaben die obersteirischen Freiheitskämpfer eine eigene Tageszeitung, das Obersteirische Tagblatt, mit einer Auflage von 35.000 Stück heraus, in dessen erster Nummer es unter anderem hieß: »Seine vornehmste Aufgabe erblickt das Obersteirische Tagblatt darin, den uns von der Naziherrschaft hinterlassenen Schutt so schnell wie möglich wegräumen zu helfen, damit wir alle ungesäumt an den Wiederaufbau unseres Vaterlandes gehen können.«

Der relativ rasche Austausch der Eliten bzw. die Einschränkung von deren Handlungsfreiheit durch Beigeordnete gab der sowjetischen Besatzung keinen Anlass, sich in die Verwaltung und die Aktivitäten der Freiheitsfront einzumischen. Wie die politischen Machtverhältnisse im Bezirk in dieser Phase waren, zeigt sich am Beispiel des provisorischen Bezirkshauptmanns und Polizeidirektors. Als dieser eine Rundverfügung erließ und diese weder der Stadtkommandantur noch den Beigeordneten der Freiheitsfront vorlegte und er zudem noch, ohne den Dreier-Ausschuss davon in Kenntnis gesetzt zu haben, beim Landeshauptmann in Graz seine Bestätigung als provisorischer Bezirkshauptmann erreicht hatte, wurde er von der ÖFF abgesetzt und durch den am selben Tag aus dem Konzentrationslager heimgekehrten Arzt, den Kommunisten Dr. Josef Mandl, als Bezirkshauptmann ersetzt.

Auch den großen Betrieben in Leoben wurde demonstriert, wer nun das Sagen hat. Denn als der den Bezirk dominierende Betrieb der Alpine Montangesellschaft sich weigerte, ab 1. Juli 1945 die Lohn- und Gehaltsfortzahlungen der für die Sicherheit im Bezirk bzw. im Betrieb zuständigen Arbeiter weiterzuzahlen, richteten der Dreier-Ausschuss sowie die Bürgermeister des Bezirkes einen Brief an die Generaldirektion der Alpine, in dem es hieß: »Ohne jedes Zutun von Seiten der Generaldirektion der Österreichischen Alpine Montan A.G. oder von Seiten der hier bestehenden Bergwerks- und Hüttengesellschaft haben es die Gemeinden vom Tage des Zusammenbruches der Naziherrschaft an als ihre Aufgabe angesehen, das Eigentum dieser Industrien in ihren Schutz zu nehmen. Bei Übernahme des Schutzes dieser Anlagen wurde eine Anzahl Werksangehöriger zum Polizeidienst herangezogen, und zwar sowohl Hütten-, Berg- und Forstarbeiter. Mangels finanzieller Fundierung der Gemeinden sind die Kosten hierfür von den Arbeitgebern zu tragen. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist noch nicht so weit gefestigt, dass der Polizeikörper verringert werden kann. Die Gemeinden sind aber nicht in der Lage, die Kosten dafür zu übernehmen. Deshalb ist es Pflicht der Großunternehmer, in deren eigenem Interesse für diese Kosten aufzukommen. (…) Hätte die Arbeiterschaft nicht den Schutz der Werke übernommen, so sähe die Situation heute anders aus. Von den leitenden Herren hat sich niemand für diese Aufgaben zur Verfügung gestellt.«

Neustart im Bezirk

Neben der Verhinderung von Plünderungen und Obstruktionen der Nationalsozialisten gehörte die Wiederingangsetzung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft zu den vorrangigen Aufgaben, die die Freiheitsfront in diesen ersten Nachkriegswochen zu bewältigen hatte. Es gelang ihr innerhalb kürzester Zeit, die Versorgung des Bezirks mit Lebensmitteln zu gewährleisten. Am 25. Juni konnte zudem das Hüttenwerk Donawitz wieder seinen Betrieb aufnehmen, und auch der Bahnverkehr funktionierte bereits Anfang Juni wieder. Da es keine Verbindung mit der Eisenbahndirektion in Villach gab, wurde kurzerhand in Leoben eine provisorische Bahndirektion geschaffen. In einem ersten Tätigkeitsbericht hieß es, dass im Gegensatz zu »den von den Engländern besetzten Gebieten«, wo es »noch keinen Personenverkehr gibt«, gelungen ist, dass »hier bei uns auf Grund der Aktivitäten der Eisenbahner bereits ein fast friedensmäßiger Apparat funktioniert«.

Aufbaukundgebung und Befreiungsfeier am 17. Juni 1945 in Leoben. (Foto: Archiv KPÖ)

Eine zentrale Aufgabe des Dreier-Ausschusses in Leoben war die Säuberung der Betriebe, Behörden und Ämter von Nationalsozialisten. Nachdem das Obersteirische Tagblatt bereits am 16. Mai 1945 unter dem Titel »Alle Nazis müssen sich registrieren lassen« die Verordnung der provisorischen österreichischen Regierung zur Entnazifizierung veröffentlicht hatte, begann der Dreier-Ausschuss umgehend mit Maßnahmen der Entnazifizierung. Unter der Kontrolle der ÖFF-Beigeordneten wurden bei den Ämtern und Behörden und in den Großbetrieben in Leoben ehemalige Nationalsozialisten entlassen.

Als in Wien der Kabinettsrat der provisorischen Regierung am 12. Juni 1945 erstmals über das Gesetz zur Ahndung von NS-Verbrechen debattierte, sind – wie auch der Kabinettsrat in Wien mit Verwunderung feststellte – in Leoben schon längst Aufrufe der ÖFF veröffentlicht worden, die die Bevölkerung dazu aufforderte, »Anzeige über frühere Nationalsozialisten« zu erstatten, die nun »wegen besonders aktiver, führender Betätigung in der NSDAP, wegen scharfer Äußerungen gegen Antifaschisten und Kriegsgegner, wegen besonderer Kriegshetze, wegen Zuträgertätigkeit für die NSDAP und Gestapo, wegen Denunzierung von Antifaschisten, wegen Schädigung von Antifaschisten, wegen Bereicherung durch ihre Mitgliedschaft bei der NSDAP oder durch den Krieg, wegen gemeiner Ausnützung und Umgehung der Bewirtschaftung, wegen Kränkung von Antifaschisten in ihrer Menschenwürde« bestraft werden sollten. Entsprechend der Weisung bzw. die Aufrufe der ÖFF befolgend nahm die unter der Aufsicht der ÖFF stehende Hilfspolizei bis Anfang Juli rund 600 teils führende Nationalsozialisten, Ariseure und Denunzianten fest.

All diese Aktivitäten endeten mit dem Erlass der britischen Militärregierung Anfang August 1945. Dabei wurde aber nicht nur die Freiheitsfront aufgelöst, es wurden auch die Maßnahmen, die sie gesetzt hatte, rückgängig gemacht: Die Beigeordneten wurden ihrer Ämter enthoben, der kommunistische Bezirkshauptmann abgesetzt, um – wie es in einem Bericht des US-Geheimdienstes hieß – »das Monopol der Linken zu brechen«, und der Leiter der Freiheitsfront, Sepp Filz, wurde, einen Tag nachdem er gemeinsam mit dem sowjetischen Stadtkommandanten den britischen Kommandanten begrüßt hatte, quasi um die neuen Machtverhältnisse im Bezirk zu demonstrieren, wegen des Fehlens einer Bewilligung für sein Auto festgenommen. Zudem wurde auch die von den Freiheitskämpfern herausgegebene Tageszeitung eingestellt.

Wenig gewürdigt

Bald danach begann die Geschichte der ÖFF zu verblassen. Der Kalte Krieg wirkte auch massiv ins »Reich der Alpine« hinein, was sich nicht zuletzt am Beispiel von Sepp Filz zeigt, der zunächst das größte Werk der Alpine Montan-Gesellschaft vor der Zerstörung gerettet und als Betriebsratsobmann bis Ende der 1940er-Jahre am Neuaufbau führend mitgewirkt hat. 1951 wurde er aufgrund seiner führenden Tätigkeit im Oktoberstreik 1950 bzw. wegen der Störung einer am 20. April 1950 unter Polizeischutz stehenden Versammlung des Verbands der Unabhängigen, einem Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten, Neonazis, Deutschnationaler und einiger Liberaler, in Leoben, fristlos entlassen und mit einem Berufsverbot in der Steiermark belegt.

In der jüngeren Vergangenheit wurde der bewaffnete Kampf der ÖFF im Bezirk Leoben für die Freiheit Österreichs als wichtiger Beitrag zum Entstehen der Zweiten Republik zwar vermehrt gewürdigt, ihr Kampf für eine andere, gerechtere Gesellschaft auch über den 8. Mai 1945 hinaus blieb in der Geschichtsschreibung aber weiterhin ausgespart.

Der deutsche Schriftsteller Stefan Heym schrieb in seinem Roman Schwarzenberg über einen Flecken Erde im Erzgebirge – es handelt sich um den Landkreis Aue an der Grenze zur Tschechischen Republik –, das zu Kriegsende von keinem der Alliierten besetzt worden war und wo Überlebende des NS-Regimes ihre Form einer demokratischen Republik zu verwirklichen versuchten: »Fast scheint es, als hätten gewisse Personen ein Interesse daran gehabt, alles Gedenken an sie auszulöschen, so als wäre diese Republik, geleitet von wohlmeinenden und ehrlichen Leuten (…), etwas Schlimmes gewesen, eine Art Krankheit, eine Pestbeule, die man ausbrennt. Sie ist, wie soll man sagen, ein Nicht-Ereignis geworden; kein Wort über sie wird laut im Schulunterricht; und versuchen Sie einmal, an die Archive heranzukommen, die, durch die Zeit damals bedingt, sowieso nur Dürftiges enthalten.«

Das, was Heym über Schwarzenberg 1945 schrieb, trifft auch auf einen Flecken Erde in der Steiermark zu: auf den Bezirk Leoben und die kurze Geschichte des Versuchs einer Selbstermächtigung.

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