Anarchistische Antisemitismuskritik

von Jens Kastner

478 wörter
~2 minuten
Anarchistische Antisemitismuskritik
Frederik Fuß (Hg.)
Anarchistische Scheidewege
Zum Verhältnis von Anarchismus und Antisemitismus
Syndikat A, 2025, 196 Seiten
EUR 13,30 (AT), EUR 12,90 (DE),

Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 gab es auch innerhalb des libertär-sozialistischen Spektrums Positionen, die in dem Terror einen Akt des Widerstands sahen. Diese Feststellung ist Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes, der in fünfzehn Texten das Verhältnis von Anarchismus und Antisemitismus umkreist.

Über die Geschichte hinweg setzten Anarchist:innen sich in ihrer Mehrzahl für die Emanzipation der Jüdinnen und Juden und gegen Antisemitismus ein. Zugleich aber gab es schon im 19. Jahrhundert antisemitische Ausfälle, etwa bei Michal Bakunin. Spätestens ab dem Sechstagekrieg 1967, nach dem sich die Haltung zu Israel innerhalb der Neuen Linken radikal wandelte, wurde auch der Anarchismus zu einer »wichtigen Stimme im antizionistischen Chor« (Werner Portmann), der auch heute innerhalb der globalen Linken sehr vernehmbar ist.

Wie der Herausgeber Frederik Fuß in seinen »12 Thesen zu Antizionismus und Antisemitismus« aufzeigt, hat beispielsweise der konzeptuelle Gegensatz von künstlich (Staat) und natürlich (befreite Gesellschaft) im Anarchismus als »Einfallstor für antisemitische Denkweisen« gedient. Fuß kritisiert diese antisemitischen Tendenzen, ohne aber das anarchistische Projekt in Gänze zu verwerfen. Diese grundsätzlich positive Wertung teilen keineswegs alle Beiträge des qualitativ recht disparaten Sammelbandes. Neben den beiden anarchophilen Texten des Herausgebers sind überhaupt jene Beiträge theoretisch am ergiebigsten, die zwar solidarisch, aber kritisch an die anarchistische Tradition anknüpfen: Dazu gehört etwa der Aufsatz von Olaf Briese, der aufzeigt, wie eng Antisemitismus und Antikapitalismus bei »Teilzeitanarchisten« wie Karl Grün, Richard Wagner und Wilhelm Marr im 19. Jahrhundert beieinander lagen. Womit im Übrigen auch die Differenz von Antisemitismus zu Rassismen deutlich wird, in denen die Diskriminierten – anders als die der Weltherrschaft verdächtigten Jüdinnen und Juden – nur als defizitär und »minderwertig« klassifiziert werden.

Zu den gewinnbringenden Texten zählt auch jener von Torsten Bewernitz, der erläutert, warum das Massaker der Hamas unter keinen Umständen als »Widerstand« zu bezeichnen ist. Dazu diskutiert er Widerstand als »eine legitimierende Diskursstrategie«, die in linker Debatte und Praxis meist positiv konnotiert ist. Den so verstandenen Widerstand setzt er in Bezug zum im Anarchosyndikalismus zentralen Konzept der Direkten Aktion und liefert damit auch einen guten Beitrag zur anarchistischen Theorie.

Dass in dem Band ausschließlich Männer schreiben, spiegelt vielleicht einen von Männern geprägten Diskurs im Gegenwartsanarchismus ebenso wider wie dessen relative Gleichgültigkeit den Geschlechterverhältnissen als Herrschaftsverhältnissen gegenüber. Dabei sind die Interventionen von Frauen in die Debatte so alt wie diese selbst. So hatte etwa Auguste Kirchhoff bereits 1924 in der Zeitschrift Die schaffende Frau, die dem syndikalistischen Frauenbund nahestand, gegen den Antisemitismus Stellung bezogen.

Wie andere Sammelbände auch, produziert das bei Syndikat A erschienene Buch durch das nicht Gesagte auch Leerstellen, die neben feministischen Perspektiven auch die globale Dimension der Debatte ausmachen. Nichtsdestotrotz ist ein Buch zu diesem Thema an sich schon lobenswert, dem explizit »an einem Dialog und (an) Verständigung« (Frederik Fuß) gelegen ist.

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