Über dem Geschehen schweben
von Joshua Groß
Cemile Sahin hat einen Familienroman über Flucht, Neuanfang und fortdauernde Gewalt geschrieben. Der filmreife Plot wird von einer Stimme erzählt, die einen gerade durch Distanziertheit in den Text hineinzieht.
Bei Kommando Ajax von Cemile Sahin dachte ich immer wieder daran, wie es war, Blaue Augen, schwarzes Haar von Marguerite Duras zu lesen, diesen betörenden Roman von 1980, der wie folgt beginnt: »Ein Sommerabend, sagt der Schauspieler, wäre das Zentrum der Geschichte.« Das stimmt, aber nur halb. Blaue Augen, schwarzes Haar handelt von einem ganzen Sommer, von einer Begegnung zwischen zwei Menschen, die sich in einem Strandhaus dem Drama ihrer Liebesleben hingeben und sich dabei somnambul verirren.
An diesen Roman denken zu müssen, während ich Kommando Ajax las, war eine schöne, mich verwundernde Erinnerung, komplett undatiert im Kompost meiner Vergangenheit. Denn inhaltlich gibt es kaum Überschneidungen zwischen den Texten. Ich hielt mich damals nicht damit auf, das Buch von Duras zu analysieren. Ich nahm es hin, verweilte für ein paar Tage, ließ mich umgeben von der Erzählung, nicht auf Hinterfragung angewiesen, weil der Roman eine Stimmigkeit aussonderte, in seiner Seltsamkeit, die keinen Widerspruch forderte. Eine Kongruenz, die für mich Entschiedenheit nahelegte. Oder die zumindest Unentschiedenheit verbarg. Was nicht dasselbe ist, sich für mich aber ähnlich anfühlte. Und nachdem ich im Roman verweilt hatte, vor einigen Jahren, drehte sich das Verhältnis, und der Roman begann in mir zu verweilen. Ich wurde ein Ankerplatz für seine Nachwirkung.
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