Patchwork-Utopien
von Kollektiv »Playing for Entropy«
Autonome Zonen, radikale Demokratie und Ökologie
EUR 16,50 (AT), EUR 16,00 (DE), CHF 19,35 (CH)
Auf der Suche nach neuen linken Utopien begegnen sich Kilian Jörg, Anarchist:in, Jahrgang 1990, und Michael Hirsch, radikaler Reformist, geboren 1966. Gemeinsam diagnostizieren sie der gegenwärtigen Ökologiebewegung und der Linken einen akuten Mangel an Visionen für bessere Welten. Um diesen »toten Zonen der Vorstellungskraft« entgegenzuwirken, plädieren sie für einen linken »Patchwork-Utopismus« und skizzieren diesen anhand des französischen Konzepts der »zu verteidigenden Zone« (»Zone á défendre«, ZAD). Die älteste ZAD in Frankreich hat ihren Ursprung in einer Landbesetzung gegen den Bau eines Flughafens in der Gemeinde Notre-Dame-des-Landes und besteht seit über 15 Jahren. Sie verknüpft politische Kämpfe verschiedenster Akteur:innen: von Bäuer:innen über Lohnarbeiter:innen hin zu autonomen Aktivist:innen. Seit 2018 ist der Ort des Protests nicht mehr besetzt, sondern befindet sich durch juristische Tricks in einer Art Gemeineigentum.
Die ZAD vereint den Protest gegen die negativen Auswirkungen des fossil-industriellen Kapitalismus mit der Schaffung konkreter lokaler Utopien. Somit definiert sie sich nicht nur durch ihre Ablehnung – des Flughafens und seiner Welt –, sondern auch durch ihre Vision: die Schaffung neuer Eigentumsverhältnisse jenseits des Kapitalismus und eine »Vielzahl an Welten«. Nicht alles ist ideal in der ZAD, manche Aktivist:innen sind aufgrund von Auseinandersetzungen rund um den Umgang mit polizeilicher Gewalt und Kompromissen mit staatlichen Akteur:innen frustriert abgezogen. Die Entwicklung der ZAD von einer kurzfristigen Landbesetzung zu einer Zone »außerhalb des kapitalistischen Status quo« erzeugt trotzdem eine nachhaltig utopische Vorstellungskraft in der linken Szene Frankreichs und darüber hinaus.
Im Buch werden die Grundlinien erarbeitet, um das anarchistische Projekt der ZAD mit staatsreformistischen Ideen zu verbinden. Die Diagnose der enormen Bedeutung des Staates als eines möglichen Unterstützers autonomer Zonen ist neuartig und spannend. Doch das Verständnis von Staatlichkeit bleibt als ungeklärte Konfliktlinie bestehen.
Die Beschreibung der Ökologie der ZAD lässt ebenfalls Fragen offen. Jörg und Hirsch beschreiben die »magische« Verbindung der ZAD zur Ökologie und die damit einhergehende Mobilisierungskraft für die Verteidigung nach außen sowie für die alltägliche (Re-)Produktion innerhalb der ZAD. Dabei verbleiben sie auf einer ideellen Ebene – welche konkreten Landnutzungskonzepte und Versorgungsstrukturen in den ZADs etabliert wurden, wie Nahrungsversorgung, Care-Arbeit oder Wohnraum organisiert werden, steht nicht im Fokus der Analyse. Ohne diesen materialistischen Einblick lassen sich Ziele wie die gerechte Verteilung von Care-Arbeit und der Schutz von Minderheitenrechten allerdings schwer verfolgen.
Wir fragen uns, ob die Scheu der Linken vor dem Ausformulieren konkreter Strukturen und verbindlicher Regeln nicht verhindert, eine tatsächliche Alternative zu skizzieren. Ergänzend zur beeindruckenden Motivationsfähigkeit und Radikalität der ZAD-Aktivist:innen benötigt es den Aufbau sozial-ökologisch tragfähiger, (radikal-)demokratischer Versorgungssysteme, um sich tatsächlich jenseits kapitalistischer Logiken zu organisieren. Die mutige Einladung des Buches, gemeinsam linke Utopien jenseits festgefahrener Denkrichtungen zu entwerfen, ist dafür ein wichtiger Startpunkt.
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