Stoff für Aufstände

von Iuditha Balint

KRITIK & ZÄRTLICHKEIT #11 | Literatur und Kunst greifen ihren Protest gegen soziale Ungleichheit auf – von Heine bis heute.

Die Weber halten für vieles her, vor allem als Figurationen des Aufstands und des Elends. Spätestens mit Heinrich Heines Gedicht Die armen Weber (1844), das in Karl Marx’ Wochenzeitung Vorwärts! erstveröffentlicht und später unter dem Titel Die schlesischen Weber bekannt wird, sowie mit Gerhart Hauptmanns Drama Die Weber (1892), halten sie Einzug in die Literaturgeschichte. Heines Gedicht versetzt Preußen in Aufruhr, und auch Hauptmanns Drama wird als Aufforderung zum Klassenhass gelesen. Folge: zeitweise Zensur in beiden Fällen. Hauptmanns Stück motiviert Käthe Kollwitz zum sechsteiligen Zyklus Ein Weberaufstand (1873–97), in dem sie die Verelendung und das Aufgebehren als brisante Dimensionen ihrer Gegenwart akzentuiert und Bilder der Gleichberechtigung zeigt: Bei ihr ziehen auch die Frauen in den Kampf, trauern um Gefallene, weinen um kranke Kinder.

Dieser Stoff basiert auf dem Weberaufstand 1844 in Schlesien, der brutal niedergeschlagen wird. Nun ging die Masse nie ohne Grund auf die Straße. Wenn der Protest nicht mehr still sein kann, entstehen aus sozialen Missverhältnissen soziale Bewegungen: Die Frühindustrialisierung bringt maschinelle Webstühle mit sich, die sich die Weber in Heimarbeit nicht leisten können. So können sie bei aller Ausdehnung ihrer Arbeitszeit nicht so schnell und viel produzieren, wie die Fabriken. Die Preise fallen, es folgt Armut, trotz Kinderarbeit.

Und während Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre (1821/29) ethische und ästhetische Aspekte des Webens und die Konkurrenz durch Maschinen in den Mittelpunkt seiner dokumentarisch-literarischen Betrachtungen stellt und Karl Mays Kolportageroman Der verlorne Sohn (1884–1886) in Poverty-Porn verfällt, stellt Heike Geißler in ihrem Essay Arbeiten (2025) fest: Die Arbeitswelt »zehrt nicht schlecht von alten Mustern«, sie wird immer dem Fabrikanten Mitgefühl entgegenbringen –  und nie dem Weber. Jonas Lüschers Roman Verzauberte Vorbestimmung (2025) greift auf Weber zurück, die Maschinen stürmen, um Variationen der Technikfrage in Raum und Zeit durchzuspielen, und findet Trost bei einem alten koptischen Weber in Ägypten. Und so wird Armut zu Stoff, Textur zu Text, eine Berufsgruppe sichtbar, Unterdrückung auch. Veränderung, Variation, Zyklizität.

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