Sekretärinnen
von Iuditha Balint
KRITIK & ZÄRTLICHKEIT #12 | Die Industrialisierung bedeutete auch mehr Büroarbeit – und damit mehr Arbeitsstellen für Frauen.
Die 1860er-Jahre sind für die sogenannte Feminisierung des Büros bekannt: Die Industrialisierung bedingt eine rasche Vermehrung der Büroarbeit, der Personalbedarf wächst, und plötzlich werden für Schreibarbeiten auch Frauen gesucht. Sekretärinnen ersetzen allmählich die Sekretäre, verdienen deutlich schlechter als diese, der Beruf kann dadurch abgewertet werden, die Frauen im Büro erst recht.
Ob in Ricarda Huchs Briefen über ihre Sekretariatsarbeit Anfang der 1890er-Jahre, in Vicki Baums Roman Menschen im Hotel (1926), Hermann Brochs Drama Die Entsühnung (1934) oder Siegfried Lenz’ Erzählung Der große Wildenberg (1954) – die Figur der Sekretärin, die Konstellationen und Geräusche des Sekretariats bestimmen die Narrative der Arbeit auf eine meist subtile, doch entscheidende Weise mit. Denn sie heben das Band zwischen Armut, Prekarisierung und weiblicher Arbeit hervor.
So rückt Christa Anita Brücks autobiografisch motivierter Roman Schicksale hinter Schreibmaschinen (1930) die Sexualisierung von Sekretärinnen in den Fokus, die Verdichtung von Macht- und Gewaltdiskursen angesichts der Entwertung weiblicher Angestellten als reine Schreibkräfte und entindividualisierte Körper. Neben Konkurrenzkämpfen werden im Roman auch die Schwierigkeiten thematisiert, die weiblichen Angestellten beim Ausüben künstlerischer Tätigkeiten und dem Wunsch nach sozialem Aufstieg begegnen. Für beides müssten die Frauenfiguren heiraten.
Jahrzehnte später stehen in John von Düffels Roman Ego (2001) die geschlechtersemantisch codierten Körperteile der Sekretärin Viola stellvertretend für die vermeintliche fachliche Kompetenz ihres Vorgesetzten und zeigen seine Signifikanz in der Unternehmenshierarchie sowie seine Aufstiegschancen an: Je attraktiver die Sekretärin, desto erfolgreicher der Chef. Auch hier wird die Sekretärin also zum Fetisch, ihres Subjektstatus beraubt und zum Repräsentationsobjekt degradiert.
Ob also emphatisch oder en passant: Diese Texte problematisieren den Mann als Legitimationsfigur der Frau – und wie weibliche Arbeit in patriarchalen und kapitalistischen Kontexten auf Sedimente ihrer ästhetischen, sexuellen und emotionalen Aspekte reduziert wird.
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