Abriss mit Gefühl

von Jannik Eder

484 wörter
~2 minuten
Abriss mit Gefühl
Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey
Zerstörungslust
Elemente des demokratischen Faschismus
Suhrkamp, 2025, 453 Seiten
EUR 30,90 (AT), EUR 30,00 (DE), CHF 35,90 (CH)

Nach Gekränkte Freiheit (2022) legen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey ihr nächstes großes Gesellschaftsporträt vor. In Zerstörungslust nimmt das an der Uni Basel tätige Soziolog:innenpaar erneut »autoritäre Mentalitäten« in den Blick und fragt, warum extrem rechte Parteien, vor allem in Deutschland und den USA, auf so viel Zustimmung stoßen und was ihre Wähler:innenschaft verbindet.

Amlinger und Nachtwey haben zahlreiche Interviews mit AfD-Wähler:innen geführt und leiten daraus ab: Die »Polykrise« der Gegenwart – Pandemie, Klimawandel, Krieg, Inflation – hat sich »tief in die emotionalen Strukturen vieler Menschen eingebrannt«. Die Weltsicht der Rechtswähler:innen ist geprägt von dem Gefühl, dass der Liberalismus seine Versprechen nicht mehr einlöst: Weder ihnen selbst noch ihren Kindern steht eine bessere Zukunft bevor. Mehr noch, der Kuchen, von dem es immer hieß, er wachse, schrumpft nun. Daraus erwächst ein Nullsummendenken, in dem die Gewinne anderer als eigene Verluste erscheinen und in dem vermeintliche »Mitesser« oder »Eliten« zum Feindbild werden.

Enttäuschung, Ohnmacht, Statusverlustangst – das ist schlüssig und prägnant erklärt, aber nicht ganz neu. Ebenso die Behauptung, viele Menschen fühlten sich permanent belehrt und bevormundet, weil der Liberalismus »hohe Anforderungen der richtigen Lebensführung, oft in moralisierender Form«, stelle und der Staat immer weiter in persönliche Bereiche hineinreguliere. Dem Buch zufolge sind also nicht nur die traditionellen Aufstiegswege blockiert, auch die Zusicherung eines autonomen Lebens scheint vielen brüchig geworden.

Die verbindende Klammer der rechts außen zusammenfindenden Nationalkonservativen, Libertär-Autoritären und Anarchokapitalist:innen ist laut Amlinger und Nachtwey – und das ist die starke These des Buches – eine affektive: die Destruktivität. Die liberale Gesellschaft soll nicht bloß verändert, sondern abgerissen werden. In der Zerstörung erlebe man Lustgewinn und Selbstermächtigung. Und so ist die Zerstörungslust die Basis dessen, was die Autor:innen demokratischen Faschismus nennen: eine moderne Form des Faschismus, die innerhalb der Demokratie entsteht, ihre Institutionen nutzt und zugleich darauf abzielt, ihren liberalen Kern, also Pluralität, Gleichheit und Gewaltenteilung zu zertrümmern.

Wie anhand von Interviews nachvollzogen wird, warum Menschen faschistische Politik befürworten, ohne sich als Faschist:innen zu sehen, ist sehr aufschlussreich. Beim Untersuchen der dafür verantwortlichen gesellschaftlichen Schieflagen zögern Amlinger und Nachtwey nicht, mit dem (Neo-)Liberalismus hart ins Gericht zu gehen. Dabei zimmern sie für ihre Problemanalyse einen Überbau mit Bestandteilen aus allen Ecken sozialwissenschaftlicher Theorie zusammen. Man kann das als Reichtum an Perspektiven betrachten; da diese Perspektiven – von Deleuze, Gramsci, Polanyi, schieß mich tot – jedoch jeweils bloß in ein paar Zeilen abgehandelt werden, tragen sie wenig zum besseren Durchblick bei.

Schließlich bleibt auch der Begriff »demokratischer Faschismus« streitbar. Das Paradox ist zwar beabsichtigt – doch warum ein Faschist, der in der Demokratie zu einem solchen geworden ist und sie angeblich bloß »entliberalisieren« möchte, gleich das Attribut »demokratisch« verdient, wird nicht jedem einleuchten.

0

    Warenkorb

    Ihr Warenkorb ist leerZurück zum Shop