Falsche Schätze in leeren Schränken

von Andrea Heinz

527 wörter
~3 minuten
Falsche Schätze in leeren Schränken
Maria Judite de Carvalho
Leere Schränke
Aus dem Portugiesischen von Wiebke Stoldt
S. Fischer, 2025, 160 Seiten
EUR 25,50 (AT), EUR 24,00 (DE), CHF 33,50 (CH)

Maria Judite de Carvalhos Roman Leere Schränke, im portugiesischen Original Os armários vazios, erschien 1966 und damit mitten in der autoritären Salazar-Diktatur. Der Titel ist einem Gedicht des französischen Surrealisten Paul Éluard entnommen: »Ich habe falsche Schätze in leeren Schränken aufbewahrt«, heiß es dort; und ziemlich genau das ist es, was Dora Rosário, die traurige Heldin des Romans, tut. Nach dem Tod ihres Mannes sieht sie, eine Frau mittleren Alters, keine Zukunft mehr. Sie schottet sich und ihre heranwachsende Tochter von der Welt um sie herum ab, flüchtet sich in einen geradezu religiös anmutenden Erinnerungskult um ihren Mann und das sogenannte Museum. Denn Duarte Rosário, ein Mann, dessen hervorstechendste Charaktereigenschaft sein mangelnder Ehrgeiz war, hat ihr und der zum Zeitpunkt seines Todes siebenjährigen Tochter nichts hinterlassen außer Armut und einer Rumpffamilie in Form seiner Mutter Ana, »ihres gelähmten, halb verwirrten Mannes« und der Tante Júlia. Und so muss Dora Rosário in einem Antiquitätenladen voller »Möbelstücke, allesamt mit ihrem überaus vollständigen ›Curriculum vitae‹, angenagt von Generationen betriebsamer Holzwürmer«, eben dem »Museum«, den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter verdienen. Auch »kleine Elfenbeinfiguren, hieratisch und feingliedrig«, finden sich hier und »einzelne Teller mit Katzenmotiv«, dazu mehr Besucher:innen als Käufer:innen. Es ist das perfekte Abbild von Dora Rosários eingemottetem Leben, aus dem sie stolz und vielleicht auch mit leiser Missbilligung ihrer Tochter zusieht, die zu einer ausnehmend schönen, lebenslustigen und zuversichtlichen jungen Frau wird.

Wobei – wie die Realität aussieht, das kann man als Leserin nur schwer einschätzen. Denn die Leserin erfährt die Geschichte durch eine nicht sehr enge Freundin Dora Rosários, die sich mit manchmal bissigen, manchmal humorvoll-ironischen, bisweilen fast verbitterten Kommentaren zu Wort meldet, dazwischen aber wieder völlig hinter der Erzählung verschwindet. Diese Freundin, Manuela, berichtet darüber, wie Dora Rosário von ihrer Schwiegermutter schockartig aus ihrem versteinerten Leben geholt wird mit der Eröffnung, dass ihr heftig betrauerter Mann, Duarte, sie nie geliebt hätte. Ja sogar verlassen wollte. Welche Ereignisse das nach sich zieht, soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Es wird das Leben aller drei Frauen, Dora, Manuela und Lisa, verändern – wobei die wenigsten dabei gut aussteigen.

De Carvalho, die 1998 starb, zeichnet in ihrem Roman in klarer, präziser, bisweilen erstaunlich moderner Sprache das bittere Porträt eines Frauenlebens vor dem Hintergrund der Diktatur. »Estado Novo«, »Neuer Staat«, nannte sie sich, und man bekommt in diesem wiederentdeckten Roman einen guten Eindruck von der Atmosphäre, die dort herrschte – obwohl oder vielleicht gerade weil die Diktatur nie offen angesprochen wird. In vielsagenden Nebensätzen heißt es etwa lediglich, jemand würde »ins Ausland ziehen, na ja, er war dazu gezwungen«. Für Vertrauen, Vertraulichkeiten zwischen Frauen jedenfalls scheint wenig Platz zu sein in dieser kalten, harten Welt, schon gar nicht für Frauensolidarität. Und auch familiäre Bande bieten, wie man am Verhältnis der Frauen Rosário sieht, wenig Schutz oder gar Geborgenheit. Eine ernüchternde Geschichte – aber ein spannendes Lesevergnügen, das mit meisterhafter Sprachbeherrschung und Komposition begeistert.

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