Davide Degano: Brüchige Zuschreibungen
von Christina Töpfer
»Bilder der Auseinandersetzung« 11|2023. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«.
Für sein seit 2019 laufendes Projekt Romanzo Meticcio nimmt Davide Degano seinen eigenen familiären Hintergrund zum Ausgangspunkt: Die Großeltern väterlicherseits haben ihre Wurzeln in Slowenien, während die Familie seiner Großmutter aus Sizilien und Kolumbien stammt. So entwirft Degano in Romanzo Meticcio ein Bild Italiens, wie es in Tourismusprospekten und Medien kaum vorkommt. Der Titel, den man mit »Mischlings-« oder »Hybridroman« übersetzen könnte, verweist sowohl auf seine narrativen Elemente als auch auf die verschiedenen, von einer postkolonialen Gesellschaft geprägten Personen und Realitäten, die hier zusammenkommen.
In seinen einfühlsamen Porträts und prägnanten Architekturaufnahmen nutzt Degano die Dokumentarfotografie als Medium politischer Praxis. Die Bilder zeigen vor allem Italiener der zweiten Generation in ihrem Alltag – eine Gruppe, die in den offiziellen Erzählungen über Italien ebenso ausgeblendet wird wie die kolonialen Verstrickungen des Landes oder der wiedererstarkte (Post-)Faschismus.
Auf einer weiteren Ebene stellt der Künstler den Fotografien Archivmaterial gegenüber – Familienfotos, Dokumente, Zeitungsausschnitte, Videos wie auch Plakate. Damit nimmt er einerseits Bezug auf die lange Tradition »anderer« Kulturen in Italien, andererseits veranschaulicht er, wie deren Wahrnehmung bis heute von einem »Othering« und von Marginalisierung geprägt ist. Ohne eine bestimmte Lesart vorzugeben, adressieren die in Romanzo Meticcio versammelten Bilder die Frage, was es bedeuten könnte, im 21. Jahrhundert Italienerin oder Italiener zu sein, und wie schnell eindeutige Zuschreibungen in einer migrantischen, postkolonialen Gesellschaft brüchig werden.
Letztlich macht Degano, der von sich selbst gern als jemand mit einer »multilokalen« Identität spricht, in seinem demnächst auch in Buchform erscheinenden Projekt deutlich, dass über viele Jahre unterrepräsentierte, marginalisierte und im Narrativ der italienischen Mehrheitsgesellschaft kaum vorkommende Gruppen diese Gesellschaft genauso ausmachen und mitgestalten.
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