Katharina Gruzei: Mikrokosmos im Untergrund
von Christina Töpfer
»Bilder der Auseinandersetzung« 2|2024. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«.
Der nun schon zwei Jahre andauernde Krieg Russlands gegen die Ukraine hat das Leben der russischen Bevölkerung zunehmend aus dem Fokus der medialen Aufmerksamkeit gerückt. Einen Einblick in den städtischen Alltag Moskaus vor dem Krieg gibt Katharina Gruzeis Langzeitprojekt Mir Metro (2008–2021), in dem sie über einen Zeitraum von 13 Jahren hinweg die »Welt der Metro«, wie der Titel übersetzt lautet, in den Blick nahm. In 445 analog wie auch digital aufgenommenen Farb- und Schwarz-Weiß-Fotografien sehen wir die Metro als Mikrokosmos der russischen Gesellschaft: Menschen, die sich dicht gedrängt auf schier endlos langen Rolltreppen durch die Schächte der Stationen bewegen, dort zu ihrer jeweiligen Metro laufen oder – jede:r für sich – auf die nächste wartend an den Bahnsteigen verharren.
Oftmals aus der Zentralperspektive aufgenommene Farbaufnahmen fokussieren auf die Architektur der Stationen, die detaillierten und aufwendigen Mosaike, die mit Basreliefs und Stuck reich verzierten Decken und Wände, Marmorsäulen oder (Bronze-)Skulpturen von Soldaten, Kosmonauten, Bauern und Arbeiter:innen, die technischen Errungenschaften, die idealisierten Darstellungen des sowjetischen Raumfahrtprogramms oder die Büsten kommunistischer Persönlichkeiten. Andere Bilder wiederum zeigen die ikonischen Stationen von außen, wobei nicht zuletzt sichtbar wird, wie die in der Nachkriegszeit und insbesondere während der Amtszeit von Nikita Chruschtschow entstandenen Stationen im Vergleich zu den in den 1930er- und 1940er-Jahren errichteten immer pragmatischer und schmuckloser wurden.
Ein besonderes Augenmerk legt Gruzei auch auf die »Metro Ladies«, Frauen in Uniform, die den Fluss der Passagierströme von ihren Kabinen am Fuße der Rolltreppen aus oder direkt am Bahnsteig im Blick behalten und leiten, die inzwischen jedoch nahezu verschwunden sind beziehungsweise ihren Aufgabenbereich an die vorwiegend männlichen Rolltreppenwärter übergeben mussten. Mit ihrem enzyklopädischen Projekt macht Katharina Gruzei sichtbar, wie die in den »Palästen des Volkes« zum Ausdruck kommenden Ideale einer kommunistischen Gesellschaft und der Alltag der Menschen bis heute nebeneinander existieren.
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