Geschlecht als Werkzeug, nicht als Waffe

von Kian Kaiser

Illustration: Lou Kiss

Trans Menschen stehen an der Spitze einer Bewegung, die für eine Welt kämpft, in der Geschlecht nicht spalten muss.


2399 wörter
~10 minuten

Ich habe mein Geschlecht nicht erfunden. Ich habe mir erlaubt, es zu klären. Damit habe ich nicht nur meine Biografie korrigiert, sondern auch eine kollektive Geschichte durchbrochen: eine Geschichte, die Menschen entlang binärer Linien einsortiert, verteilt und verwertet. Diese Geschichte wurde nie geschrieben, um Menschen zu verstehen, sondern um sie zu verwalten. Und trans Menschen passen nicht ins Skript. Die jüngste Welle an transfeindlicher Stimmung und antifeministischer Rhetorik, die oft in reale Gesetze übergeht, ist daher weder ein Rätsel noch ein Randphänomen. Trans Menschen sind das neue Feindbild der Rechten und Konservativen. Das darf man aber nicht persönlich nehmen, denn im Grunde geht es nicht um uns. Es geht um das, was wir sichtbar machen.

In unserer Gesellschaft tun viele so, als wären Geschlechterrollen eine Frage der Identität. Aber sie sind eine Frage der Nützlichkeit. Männer, wie sie der Kapitalismus braucht, sind leistungsfähig, emotionslos, loyal. Perfekt für Fabriken, Frontlinien, Führungspositionen. Frauen sind verfügbar, sorgend, anpassungsfähig. Ideal für unbezahlte Sorgearbeit im Haushalt, im Krankenhaus, in der Gesellschaft. Beide Rollen halten eine Ordnung aufrecht, in der Menschen nicht sich selbst gehören, sondern eine Funktion erfüllen. Und in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit, wenn Jobs knapp werden, soziale Sicherheiten bröckeln und das Vertrauen in die Zukunft schwindet, wird genau diese Ordnung politisch aufgeladen. Dann geht es nicht mehr um Gleichstellung, sondern um Rückversicherung. Nicht um Vielfalt, sondern um Disziplin.

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