Die SPÖ und der Süden

von Berthold Molden

Illustration: Adrián Astorgano

ROTE FÄDEN #19 | Einst war der österreichischen Sozialdemokratie internationale Solidarität ein besonderes Anliegen. Davon scheint heute nicht mehr viel übrig zu sein.


546 wörter
~3 minuten

Als vor einem halben Jahrhundert Länder des heutigen Globalen Südens die Durchsetzung einer Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung betrieben, befürworteten zwei international bekannte österreichische Politiker diese Initiative. Zum einen Kurt Waldheim, seit Jänner 1972 Generalsekretär der Vereinten Nationen und in mehreren Belangen um Interessen des Globalen Südens bemüht, was angesichts der späteren Affäre um seine NS-Verstrickung kaum beachtet wird. Zum anderen der Sozialdemokrat Bruno Kreisky, dessen aktive Außenpolitik als Bundeskanzler von 1970 bis 1983 legendär ist. Er blickte schon seit den 1950er-Jahren über den europäisch-nordatlantischen Tellerrand.

Gewiss waren Österreichs Beziehungen zur damaligen »Dritten Welt« immer auch von Eigeninteressen getragen. So brachte Brasilien 1952 einen Antrag zur Wiederherstellung der österreichischen Souveränität in der UN-Generalversammlung ein, der von Mexiko unterstützt wurde. Auch wenn dieser Antrag – ebenso wie Mexikos Protest gegen den »Anschluss« 1938 – zunächst erfolglos war, stützte er die Alpenrepublik, die bis zum Staatsvertrag von 1955 in der UNO nur Beobachterstatus hatte. Einige Jahre später bemühte sich Österreich um afrikanische Allianzen in der Südtirol-Frage. Und es bedurfte südlicher Unterstützung, um internationale Organisationen nach Wien zu holen: 1957 die Internationale Atomenergie-Organisation, 1965 die OPEC und die 1966 gegründete UNIDO, wichtiges Sprachrohr der »Dritten Welt«. 

Doch Kreiskys Blick auf den Globalen Süden war auch von genuiner Solidarität getragen. So forderte er 1962 einen »Marshallplan für die Dritte Welt«, und im selben Jahr entstand auf seine Initiative – mitgetragen freilich von Indiens Ministerpräsident Jawaharlal Nehru und anderen Politikern des Südens – das Wiener Institut für Entwicklungsfragen, das hochkarätigen Dialog zur Entwicklung der postkolonialen Welt nach Wien brachte und noch heute als Wiener Institut für Internationalen Dialog und Kooperation aktiv ist. Und es gab das Institut für Internationale Zusammenarbeit. 

Den Geist internationaler Solidarität mit – oft auch revolutionären –
Positionen der »Dritten Welt« teilte Kreisky mit Schwedens Olof Palme und bis zu einem gewissen Grad mit Westdeutschlands Willy Brandt. Diese Haltung einflussreicher europäischer Sozialdemokraten war prägend für die 1970er-Jahre, als einerseits der Süden gegen die ökonomische und politische Weltordnung aufbegehrte und andererseits ausgehend vom Norden das in Aktion gesetzt wurde, was wir heute als neoliberale Wende erkennen. 

Österreichs Sozialdemokratie blieb von dieser Wende nicht unberührt. Kurz vor Tony Blair in Großbritannien übernahm in Österreich 1986 der Banker Franz Vranitzky SPÖ und Kanzleramt. Dessen erster Außenminister stammte noch aus Kreiskys Tradition, doch schon bald folgte diesem mit Alois Mock jener ÖVP-Politiker, der den Fokus auf Europa richtete: Österreichs EU-Beitritt und die jugoslawischen Sezessionskriege. Und als in der BRD Gerhard »Genosse der Bosse« Schröder Helmut Kohls Erbe antrat, regierte in Österreich eben noch Alfred Gusenbauer. Beide sind heute eher als wohlgenährte Geschäftemacher (auch im Globalen Süden) und Lobbyisten bekannt, denn als Kämpfer für die Anliegen der Arbeiterklasse. 

Ihr Werdegang ist symptomatisch dafür, dass auch das sozialdemokratisches Interesse am Globalen Süden seit den 1980er-Jahren oft auf Marktanteile reduziert ist. Gewiss, Abgeordnete wie Petra Bayr oder Katharina Kucharowits halten im österreichischen Parlament noch einen solidarischen Austausch zu Menschenrechts-, Entwicklungs- und Wissenschaftsfragen lebendig. Auch Arbeiterkammer und Gewerkschaften kritisieren EU-Freihandelspläne wie Mercosur unter anderem wegen umwelt- und arbeitsrechtlicher Probleme in Lateinamerika. Doch insgesamt dominiert der Eindruck: internationale Solidarität war gestern.

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