Der Pop-Linke
von Jens Kastner
Artikel, Interviews und Bekenntnisse aus zwei Jahrzehnten
EUR 17,50 (AT), EUR 17,00 (DE), CHF 24,50 (CH)
Am Ende eines Textes zur Rezeption der Philosophie von Gilles Deleuze schreibt Martin Büsser, es wäre danach zu fragen, »ob es sich bei all dem, was hier verhandelt wurde, nicht um einen Luxus handelt, dessen Bedingungen bereits historisch sind«. Verhandelt wurden etwa der Einfluss von Pop auf Philosophie und Sozialtheorie, das Sprechen von den Rändern akademischer und musikalischer Räume her, die emanzipatorische Kraft von Subkulturen. All das stand nicht nur im Zentrum des zitierten Aufsatzes von Büsser, sondern auch des Treibens jener linken Aktivistinnen und Theorie-Freaks, die man in den 1990er Jahren als die Pop-Linke bezeichnete. Martin Büsser war einer ihrer prononciertesten Vertreter. Die von ihm mitgegründete und bis heute erscheinende Testcard gehörte neben Spex und Die Beute zu ihren wichtigsten publizistischen Organen. Jetzt sind aus dem Nachlass des Musikjournalisten, der 2010 mit 42 Jahren viel zu früh verstorben ist, noch einmal Texte aus zwei Jahrzehnten erschienen. Es ist – nach Music is my boyfriend und Für immer in Pop – das dritte Buch mit nachgelassenen Artikeln aus Sammelbänden und Zeitschriften wie konkret oder eben Testcard. Aber es sind keineswegs bloß die Pendants längst verstaubter Langspielplatten, die hier in neuen Hüllen als Sammlerstücke feilgeboten werden. Büssers Aufsätze, Kommentare und Rezensionen wirken frisch, erst recht angesichts der kurzen Halbwertzeit ihrer Gegenstandsbereiche. Schon 1999 entdeckt er etwa den Schriftsteller Hubert Fichte neu. Büsser schreibt über Horror- und Splatterfilme, Schwulenpornos, interviewt Courtney Love oder verteidigt den militanten Antifaschismus gegen seine Vereinnahmung und Verunglimpfung durch das Feuilleton: »Eine Welt ohne Feinde wäre uns lieber.« In einem Text über das Avantgardistische des Pop spürt er in diesem »sinnliche wie intellektuelle Momente« auf, »die sich hinter jenen der zeitgenössischen Kunst nicht verstecken müssen«. Es ist auch das emotionale Involviertsein, das Schweißtreibende und Maßlose, das die Popkultur eine Zeit lang für Linke so interessant machte. Gegen die institutionellen Verfahren und Apparate gerichtet erscheint der Satz, den der ehemalige Bassist der Sex Pistols, Glen Matlock, im Interview mit Büsser sagte, absolut nachvollziehbar: »Politik ist die größte, allerletzte Scheiße.« Aber so eindeutig sind soziale Praktiken nie. Gegen den bestehenden Mist und die Vereinnahmungsakrobatik des postfordistischen Kapitalismus riet Büsser zu zweierlei: genauer hinsehen und intervenieren. Seine Texte leisten beides, sind nie verschwurbelt, immer vermittelnd. Pop sei schließlich »wie jegliche kulturelle Äußerung immer nur in dem Maß an die Kulturindustrie verkauft, in dem es die Linke versäumt, die Sache für ihre Interessen nutzbar zu machen«.
Was hier verhandelt wird, hat einerseits seine konkret-historischen Bedingungen hinter sich gelassen und lebt andererseits doch bis in die Gegenwart linker politischer Praxis im Kontext warenfetischisierter Verhältnisse fort. Auch daran, wie viel Spaß es macht, Büssers Texte heute noch zu lesen, fällt auf, wie sehr er fehlt.
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