Was es bedeutet, Mensch zu sein

von Silvia Federici

In der Textsammlung »Die Welt wieder verzaubern« plädiert Silvia Federici für eine andere Vernunft jenseits der kapitalistischen Entwicklung. Ein Vorabdruck.


2271 wörter
~10 minuten

Ein Jahrhundert ist vergangen, seit Max Weber in seinem Aufsatz Wissenschaft als Beruf schrieb, dass »das Schicksal unserer Zeit (…) die Entzauberung der Welt« sei, ein Phänomen, das er der Rationalisierung und Intellektualisierung moderner Formen gesellschaftlicher Organisation zuschrieb. Mit »Entzauberung« bezog sich Weber auf das Verschwinden des Religiösen und des Sakralen. Wir können seine Warnung aber politischer interpretieren, indem wir sie auf eine Welt beziehen, in der unsere Fähigkeit, eine andere Logik als die der kapitalistischen Entwicklung zu erkennen, jeden Tag stärker in Frage gestellt wird. Diese Unfähigkeit hat viele Ursachen, die uns davon abhalten, das Elend, das wir tagein, tagaus erleben, in eine transformative Praxis zu verwandeln. Die globale Umstrukturierung der Produktion demontierte die Communities der Arbeiterklasse und vertiefte die Spaltungen, die der Kapitalismus im Weltproletariat anrichtet. Was uns aber ebenso daran hindert, unser Leiden für die Schaffung von Alternativen zum Kapitalismus produktiv zu machen, sind die Verführungen der Technologie, die uns vorgaukeln, Kräfte zu verleihen, ohne die wir nicht leben könnten. Mit diesem Mythos möchte ich aufräumen. Das bedeutet keinesfalls, dass ich blind auf die Technologie losgehen werde und mich nach der (unmöglichen) Rückkehr in ein primitivistisches Paradies sehne. Ich will vielmehr herausarbeiten, welchen Preis wir für die technologischen Innovationen, die uns verzaubern, bezahlen müssen, und vor allem das Wissen und die Macht in Erinnerung rufen, die durch die Produktion und Anwendung dieser Technologie verloren gingen. Es geht darum, eine andere Vernunft und eine andere Logik als die der kapitalistischen Entwicklung zu entdecken. Das meine ich, wenn ich von der »Wiederverzauberung der Welt« spreche, die meiner Meinung nach für den Großteil der anti-systemischen Bewegungen von zentraler Bedeutung und eine Voraussetzung für den Widerstand gegen Ausbeutung ist. Wenn wir nur das kennen und uns nur danach sehnen, was der Kapitalismus produzierte, dann ist jede Hoffnung auf wirkliche Veränderung zum Scheitern verurteilt. Gesellschaften, die nicht bereit sind, die Verwendung industrieller Technologien zu reduzieren, müssen sich auf

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