Zur Dialektik eines Klassikers – Teil 1

von Wolfgang Häusler

Illustration: Christoph Kleinstück

»Oswald der Montagnard«, vor 200 Jahren geborener Fabrikantensohn aus dem Wuppertal, wird Cotton-Lord, im Nebenberuf Kommunist und Revolutionär.


2724 wörter
~11 minuten

Am 28. November jährt sich der Geburtstag von Friedrich Engels zum 200. Mal. Dies ist der erste Teil einer Serie, in der Wolfgang Häusler, emeritierter Universitätsprofessor für Österreichische Geschichte, an den Mitbegründer des Marxismus erinnert.

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An der Stelle des bombenzerstörten Geburtshauses von Friedrich Engels in Barmen – der Platz im Bruch heißt heute Engels-Garten – steht ein Gedenkstein für »den großen Sohn unserer Stadt«: »Er ist der Mitbegründer des wissenschaftlichen Sozialismus.« Im Nachbarhaus, dem älteren Familiensitz von 1775, wuchs er auf. Das Gedenken an seinen 200. Geburtstag am 28. November steht unter keinem guten Stern. Das 1970 in Anwesenheit von Bundeskanzler Willy Brandt eröffnete Historische Zentrum im Engels-Haus, mit dem Museum der Frühindustrialisierung, ist seit 2016 geschlossen. Die Ausstellung, unter dem Motto Denker Macher Wuppertaler und unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet, wurde in der Kunsthalle Barmen vorbereitet, mit Höhepunkten wie Taufkleidchen, Originalseite des Kommunistischen Manifests und Taschenmesser von den Solinger Stahlarbeitern zum 70. Geburtstag. »Ohne Engels kein Marx«, textet das Begleitbuch. Die gleichzeitige Anwesenheit von Besuchern ist auf 25 beschränkt, in den einzelnen Räumen auf sechs, keine Tageskasse, Eintrittskarten nur online! Corona-bedingt ist das 7. Wuppertaler Geschichtsfest auf 2021 verschoben. Auch das moderne Wahrzeichen, die Schwebebahn von 1901 hoch über der Friedrich-Engels-Allee, will es mit neuen Wägen nicht recht funktionieren; derzeit gibts nur Wochenendbetrieb. Zwei Denkmäler prägen den Park: Alfred Hrdlickas gewaltsamer Marmorblock Starke Linke (1981) kontrastiert mit einem konfuzianisch erstarrten, sich den Rauschebart streichenden alten Engels im Gehrock, vier Meter hoch, eine milde Gabe der Volksrepublik China aus dem Jahr 2014. Die Schuhe wurden jüngst rot bemalt. Nebenbei: 1987 erhielt Staatsratsvorsitzender Erich Honecker anlässlich seines Besuchs im Engels-Haus von Udo Lindenberg eine E-Gitarre.

Die zusammenwachsenden Städte Elberfeld und Barmen wurden 1930 zu Wuppertal vereinigt, eine Folge des Wandels im 19. Jahrhundert von der Manufaktur zur Maschinenproduktion. Urgroßvater Johann Kaspar Engels gründete eine Bleicherei (1747) und Spitzenfabrikation und legte sich ein Wappen mit einem »Engel mit silbernem Flügel und goldblondem Haar« zu. Die Engels führten ihre Familie auf Hugenotten zurück und wurden Honoratioren der Stadt. Großvater Kaspar war unter Napoleon Munizipalrat, dann preußischer Stadtrat. Diese politische Konstellation verband Trier und das Wuppertal im Bergischen Land: Marx und Engels haben einen gemeinsamen historischen Hintergrund. Die Revolutionskriege brachten Frankreich das linke Rheinufer, der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 schuf neue Strukturen für das sich seinem Ende zuneigende Heilige Römische Reich. Mit der Erbmasse der geistlichen Kurfürstentümer an Rhein und Mosel konnte Napoleon ungehindert disponieren, durch die Schaffung von (Groß-)Herzogtümern, anachronistischen Kurfürstentümern und neuen Königreichen. Die Engels-Heimat wurde zum Großherzogtum Berg für Schwager Murat, das Königreich Westfalen, erweitert um Hessen, ging an den Kaiserbruder Jérôme, bekannt als König Lustik in Kassel. Das Protektorat Napoleons über den Rheinbund war der Todesstoß für das Alte Reich (1806). Ein Beispiel noch für den radikalen Wandel dieser Zeit: Essen, wo Krupp im 19. Jahrhundert sein Kohle- und Stahlimperium im Ruhrgebiet aufbaute, war das Territorium eines reichsunmittelbaren Äbtissinenstifts.

Schon in der frühen Neuzeit hatte Brandenburg am Rhein Fuß gefasst. Aus dem Jülich-Cleve’schen Erbfolgestreit, der Europa an den Rand eines Krieges mit Heinrich IV. von Frankreich geführt hatte, gewannen die Hohenzollern wichtige Territorien: 1614, im Vertrag von Xanten, erlangte der Kurfürst Cleve, Mark und Ravensberg. Im Wiener Kongress arrondierte Preußen mit Jülich und Berg, Trier und Köln seine ahistorisch benannte Rheinprovinz und Westfalen. Nun hatte der preußische Staat ein festes Standbein am Rhein; als Vermächtnis der napoleonischen Zeit blieb hier der Code civil in Kraft. Mit dieser Westorientierung wuchs Preußen in Deutschland hinein, während Österreich seine niederländische Position und den Komplex der vorderösterreichischen Territorien eingebüßt hatte. Das Rheinland modernisierte sich im Vormärz rasant mit Industrie, Banken und Eisenbahn – noch heute kommt man überraschend unmittelbar am Bahnhof vor dem Kölner Dom an. Der Zollverein zeichnete seit den 1830er Jahren die künftige Einigung unter Preußens Führung vor. 

In diese paradoxe Situation der Moderne wurden Marx und Engels hineingeboren. Angesichts der römischen Ruinen von Trier formte sich das Geschichtsbild von Karl Marx, dessen Eltern aus europaweiter rabbinischer Tradition stammten – der getaufte Vater hatte als Anwalt die Chance emanzipatorischer Bildung erfolgreich ergriffen. Dem Heranwachsenden stand die Porta Nigra vor Augen, Symbol der Ablösung der alten Welt durch eine in ihrem Inneren heranwachsende neue Epoche, das mittelalterliche Simeonsstift. Insofern macht das von der Volksrepublik China anlässlich des 200. Geburtstags 2018 hier aufgestellte, tourismusfördernde und ästhetisch bedenkliche Marx-Denkmal gegenüber dem Wohnhaus der Familie Sinn. Im Gegensatz hierzu und als Hintergrund der Religionskritik steht die Schaustellung des Heiligen Rocks 1844, die Massen von Gläubigen anzog. Die Konfrontation mit dem Neuen gilt in erhöhtem Maß für Köln – während der Fertigbau des Domes in Gang kam, machten Marx und Engels die an die 100.000 Einwohner heranreichende Großstadt zum Schauplatz ihrer revolutionären publizistischen Tätigkeit mit Rheinischer und Neuer Rheinischer Zeitung. Am 8. Juni 1847 sprach der rheinische Bankier und preußische Finanzminister David Hansemann als »klassischer Repräsentant der zum Ministerium gelangten preußischen Bourgeoisie« (Marx) in seiner Rede vor dem Vereinigten Landtag ein großes Wort gelassen aus: »Bei Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf.«

»Konto und Kirche« lautete die Losung dieser Industrialisierung. Die Baumwollspinnerei im (schon 1353 genannten) Engelskirchen wurde die Grundlage für die Barmen mit Manchester verbindende übernationale Firma Ermen & Engels, die der Vater mitgründete. Der »fanatische und despotische Alte« ließ seinen namentlich sprachlich hochbegabten erstgeborenen Sohn nicht das Abitur am Elberfelder Gymnasium machen, sondern steckte ihn 1837 gegen seinen literarischen Ehrgeiz in die Lehre der Firma, die weitere Ausbildung folgte 1838/41 in der Hansestadt Bremen und 1842/44 in Manchester. Unter dem Pseudonym Friedrich Oswald – wohl eine Anspielung auf den König von Northumbria im 7. Jahrhundert, der als Patron der Armen verehrt wurde – schrieb der Heranwachsende Dramolette und plante noch mehr. Seine Helden hießen hürnener Siegfried, Tell, Faust, gar Rienzi. Balladen über Beduinen und Indianer folgten Freiligraths Vorbild. Erstes Zeugnis einer kritischen Sichtweise sind die Briefe aus dem Wuppertal für den jungdeutschen Telegraph für Deutschland (1839): »Träg und verschlammt kriecht die Wupper« dahin mit ihren von den Färbereien »purpurnen Wogen zwischen rauchigen Fabriksgebäuden«. »Aber es herrscht ein schreckliches Elend unter der niederen Klasse … Syphilitische und Brustkrankheiten herrschen in einer Ausdehnung, die kaum zu glauben ist; in Elberfeld allein werden von 2500 schulpflichtigen Kindern 1200 dem Unterricht entzogen und wachsen in den Fabriken auf … Die reichen Fabrikanten aber haben ein weites Gewissen, und ein Kind mehr oder weniger verkommen zu lassen, bringt keine Pietistenseele in die Hölle, besonders wenn sie alle Sonntage zweimal in die Kirche geht.« Der Protest gegen den Pietismus führte den 19-jährigen Gottsucher zur Religionskritik eines David Friedrich Strauß und durch das »Purgatorium« des materialistischen Atheismus Feuerbachs, noch einmal innehaltend mit Schleiermacher: »Die Religion ist Sache des Herzens.« Ein altersweiser Engels sah in der Geschichte des Urchristentums »Berührungspunkte mit der modernen Arbeiterbewegung … und trotz aller Verfolgungen, ja sogar direkt gefördert durch sie, dringen beide siegreich, unaufhaltsam vor«. 

In seinem Freiwilligenjahr (1841/42) beim Garde-Fußartillerie-Regiment in Berlin geriet Engels in den Kreis der »Freien« des »Doktorclubs«, unter ihnen der Religionskritiker und verhinderte Dozent Bruno Bauer und der den Anarchismus vordenkende Max Stirner. »Oswald der Montagnard … er spielt ein Instrument: das ist die Guillotine«, so die scherzhafte Selbstdarstellung seiner Radikalisierung im Zeichen der Französischen Revolution. In dieser Runde war die Erinnerung an den kurz zuvor nach Köln gegangenen Dr. Karl Marx noch lebendig – »ein schwarzer Kerl aus Trier, ein markhaft Ungetüm«. Die Verbindung stiftete die Auseinandersetzung mit Hegels dialektischer Philosophie. Marx machte als Redakteur der progressiven Rheinischen Zeitung konkrete soziale Widersprüche dingfest (Holzdiebstahl, Notlage der Moselbauern). Engels sandte Artikel aus Manchester, doch verlief die Begegnung in Köln im November 1842 kühl: Marx wollte oberflächliche atheistische und kommunistische Auslassungen vermeiden, zugunsten einer wissenschaftlich fundierten Kritik der bürgerlichen Gesellschaft. Die unzufriedenen Literaten und Intellektuellen flohen, wie Börne und Heine, vor Polizei und Zensur nach Westeuropa. Im Dreieck von Paris, London und Brüssel formte sich das revolutionäre Bewusstsein der mit der Pariser Begegnung im Sommer 1844 zu Freunden gewordenen jungen Emigranten, in »vollständiger Übereinstimmung«. Das erste und einzige Heft der von dem radikaldemokratischen Publizisten Arnold Ruge herausgegebenen Deutsch-Französischen Jahrbücher brachte 1844 die Abhandlung von Marx Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung und Engels’ Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie. Es ging um Grundfragen der bürgerlichen und sozialen Emanzipation. Der weiteren »Selbstverständigung« sollten die gemeinsam verfassten Streitschriften Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik (1845) und Die deutsche Ideologie dienen; letzteres Manuskript blieb ungedruckt, »der nagenden Kritik der Mäuse überlassen«. Die »Ironiewut« dieser Texte verlor sich in Personalien und spitzfindiger Literaturkritik. Engels entkam dieser Sackgasse durch die konkrete Sozialstudie Die Lage der arbeitenden Klasse in England (1845), entstanden aus der praktischen Bekanntschaft mit den Widersprüchen der von ihm erstmals sogenannten »industriellen Revolution«. Der junge Industriekaufmann kannte die fortgeschrittenen gewerkschaftlichen und politischen Forderungen der Chartisten aus persönlichen Kontakten, während Marx sich vorwiegend theoretisch mit den Schriften der französischen Frühsozialisten, namentlich Proudhon, auseinandersetzte.

Der übernationale Charakter der Arbeiterschaft und der Arbeiterbewegung kam in den Blick, die mobilen deutschen Handwerker wirkten in Westeuropa wie ein Katalysator des Sozialismus/Kommunismus. Engels hat diese vorrevolutionäre Situation 1885 in der Schrift Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten ausführlich gewürdigt. Die deutschen Handwerker wurden von dem religiös formulierten Gleichheitskommunismus des Schneiders Wilhelm Weitling angezogen. Weitlings Einfluss wurde in der Folge ausgeschaltet, er ging nach Amerika. Ebenso richtete sich die Polemik gegen die »wahren Sozialisten« wie Karl Grün oder den im Rheinland agitierenden »Kommunistenrabbi« Moses Heß, der nachmals zu einem Vorläufer des Zionismus wurde. Aus den deutschen Handwerkern, die in Paris nach Zehntausenden zählten, und Emigranten rekrutierten sich anfangs geheime Gesellschaften, wie der in der Tradition Blanquis stehende Bund der Geächteten, aus dem der Bund der Gerechten hervorging. Engels erinnerte sich an die Protagonisten, die dann den Übergang zum Bund der Kommunisten vollzogen: Heinrich Bauer, Schuster aus Franken, er wanderte 1851 nach Australien aus, Joseph Moll aus Köln, Uhrmacher von Beruf, gefallen 1849 im badisch-pfälzischen Aufstand im Gefecht an der Murg, wo auch Engels in der Reichsverfassungskampagne kämpfte – »die ersten revolutionären Proletarier«, die er schon in London 1843 kennenlernte. Die mit großer Anerkennung genannten Männer hatten in dieser Kampfzeit vielfach bei Marx und Engels Ärgernis erregt, sie wurden mit der Bezeichnung als »Knoten« oder »Straubinger«, wandernde Handwerksburschen, verunglimpft, falls sie sich gegenüber der wissenschaftlichen Theorie des Klassenkampfes und der Revolution hartköpfig zeigten.

»IN SEINEM FREIWILLIGEN JAHR (1841/42) BEIM GARDE-FUSSARTILLERIE-REGIMENT IN BERLIN GERIET ENGELS IN DEN KREIS DER ›FREIEN‹ DES ›DOKTORCLUBS‹, UNTER IHNEN DER RELIGIONSKRITIKER UND VERHINDERTE DOZENT BRUNO BAUER UND DER DEN ANARCHISMUS VORDENKENDE MAX STIRNER. ›OSWALD DER MONTAGNARD … ER SPIELT EIN INSTRUMENT: DAS IST DIE GUILLOTINE‹, SO DIE SCHERZHAFTE SELBSTDARSTELLUNG SEINER RADIKALISIERUNG IM ZEICHEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION.«

Das Angebot von Moll an Marx in Brüssel, im Jänner 1847, »eine Bundesdoktrin aufzustellen«, wurde von ihm und Engels akzeptiert. Über die komplexe Entstehungsgeschichte des Manifests der Kommunistischen Partei, das von der Unesco 2013, gemeinsam mit dem Kapital, in das Weltdokumentenerbe aufgenommen wurde, namentlich über die Anteile von Marx und Engels an Text und Formulierung, ist unendlich viel geschrieben worden. Eine treibende Kraft dieser Programmatik blieb auf der Strecke: Karl Schapper (1812–1870), Student der Forstwissenschaft und Schriftsetzer, Gießener Burschenschafter, Teilnehmer an Georg Büchners Verschwörung und am Frankfurter Wachensturm. Der Sprachlehrer und »Revolutionär von Profession« leitete das Kommunistische Korrespondenzkomitee in London, er verfasste in den Arbeiterbildungsverein hineingetragene Diskussionsbeiträge und Appelle, so im Februar 1847, dass »wir augenscheinlich einer ungeheuren Revolution entgegengehen«. – »Die Kommunisten bilden leider noch immer keine feste Partei … Die Kommunisten wollen also die ganze alte gesellschaftliche Ordnung einreißen und eine völlig neue an ihre Stelle setzen.« Seine Schmähung der nichtrevolutionären »Sozialisten« als »seichte Liebesduselei« ist in das Manifest eingegangen. Der Londoner Kongress des nunmehrigen Bundes der Kommunisten im Juni 1847 – Marx war durch Engels und Wilhelm Wolff vertreten – schuf organisatorisch, sehr deutsch, eine Zentralbehörde (!), leitende Kreise und Kreise. In Schappers Sinn formulierte Engels Grundsätze des Kommunismus in Form eines Katechismus in Frage und Antwort. Schapper stellte der Nr. 1 seiner Kommunistischen Zeitschrift (September 1847) das Motto »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« voran, anstelle der harmonisierenden Losung: »Alle Menschen sind Brüder.« Am 2. Kongress (von 29. November bis 8. Dezember 1847) in London erhielt Marx den definitiven Auftrag für das neue Grundsatzprogramm. Engels entschied in einem Brief: »Wir lassen die Katechismusform weg und titulieren das Ding Kommunistisches Manifest.« Marx wurde säumig, die Zentralbehörde – Schapper, Bauer, Moll – urgierte das Programm am 26. Jänner 1848 und drohte mit Entzug der Materialien. »Geschichte müsse erzählt werden«, riet Engels – dies tat Marx unter Zeitdruck in fulminanten Sätzen, ein Hohelied auch der »höchst revolutionären Rolle der Bourgeoisie« und des weltumspannenden Kapitalismus. Das Manifest wurde freilich, entgegen seinem Namen, nicht zum öffentlichen Dokument, obschon es punktgenau zum Ausbruch der Pariser Februarrevolution gedruckt wurde. Schappers und vieler Handwerker wie auch des Kölner Armenarztes Dr. Andreas Gottschalk revolutionäre Ungeduld teilte Marx nicht, er warnte entschieden vor Freischarenzügen, wie sie der Poet Georg Herwegh anführte, und sollte recht behalten. Es galt, zunächst die bürgerliche Revolution zu Ende zu führen; die radikalen, doch nicht sozialrevolutionären 17 Punkte der Forderungen der Kommunisten in Deuschland zielten auf die »einige, unteilbare, deutsche Republik«. Die Neue Rheinische Zeitung in Köln präsentierte sich folgerichtig als »Organ der Demokratie«. Erst in Zukunft sollte der Schlussappell des Manifests seine Wirkung entfalten: Die »Proletarier aller Länder« haben »nichts zu verlieren als ihre Ketten«, eine bezeichnend an Rousseaus contrat social erinnernde Wendung, und »eine Welt zu gewinnen«.

Erst nach der Niederlage der deutschen, der europäischen Revolution klärten sich die Fronten in den Reihen der Achtundvierziger. Die Neue Rheinische Zeitung hatte sich am 18. Mai 1849 mit ihrer letzten roten Nummer verabschiedet. Das Familiensilber musste versetzt werden, um den Unterhalt der Familie zu fristen; die Misere, ging, durch Krankheit verschärft, im Londoner Exil weiter. Nach seiner Teilnahme an der Reichsverfassungskampagne, zu deren Beginn Engels im Streit mit dem Vater vergeblich versucht hatte, in Elberfeld Barrikaden gegen die preußische Militärintervention zu errichten, und in der er unter dem ehemaligen preußischen Offizier August Willich als Adjutant tapfer gedient hatte, fand er sich mit Umweg über Genua im November 1849 in London ein. Im März 1850 verfassten Marx und Engels die Ansprache der Zentralbehörde an den Bund, mit dem berühmten »Schlachtruf« am Schluss: »Die Revolution in Permanenz!« Blanquisten und der radikale Chartist Julian Harney betrieben die Gründung einer »Internationalen Gesellschaft der revolutionären Kommunisten«, der die Freunde beitraten; auch Schapper stieß dazu. Marx und Engels warfen den Radikalen jedoch vor, »statt der wirklichen Verhältnisse den bloßen Willen zum Triebrad der Revolution zu machen«. Nach unerfreulichen Querelen spaltete sich der Bund im September 1850; die Verlegung der Zentralbehörde nach Köln brachte das Ende. Marx zog sich zum Studium der kapitalistischen Ökonomie in das British Museum zurück, sein Leseplatz über viele Jahre wird noch gezeigt, Engels trat wieder in seine Firma ein und brachte es zum Teilhaber. Den »hündischen Commerce«, mit dem er auch Marx und seine Familie zu erhalten hatte, setzte er bis 1869 fort. Seit 1870 lebte Engels in einem stattlichen Haus in London, Regent’s Park Road 122, dem stets geldbedürftigen Freund nahe. Das Haus wurde zum »Mekka« der Organisatoren und Führer der europäischen sozialdemokratischen Parteien, voran Wilhelm Liebknecht, August Bebel und Dr. Victor Adler.Die Klassenkämpfe in Frankreich waren ein Abgesang auf die gescheiterte Revolution von 1848 (mit der Fortsetzung zum bonapartistischen Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte), doch steht hier auch der Satz: »Die Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte.« Aus der blanquistischen Episode 1850 blieb die nachmals durch Lenin geschichtsmächtig gewordene Doktrin von der »Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt«.

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