»Wir stecken in ernsthaften Schwierigkeiten«

von Oliver Prausmüller

Fotos: Barry Christianson

Fatima Hassan kämpft seit der HIV/Aids-Pandemie für eine gerechtere öffentliche Gesundheitsversorgung. Ein Gespräch über geistiges Eigentum in der Covid-Pandemie und darüber, wie Big Pharma Demokratie und Menschenleben gefährdet.


2770 wörter
~12 minuten

Oliver Prausmüller | Wir sind im zweiten Jahr der Pandemie und erleben eine tiefe Kluft bei der weltweiten Verteilung von Impfstoffen. Während mancherorts bereits junge, gesunde Menschen mit geringem Krankheitsrisiko geimpft werden, ist in den meisten Ländern selbst der Schutz von Gesundheitspersonal, alten Personen und anderen Risikogruppen noch lange außer Reichweite. Siehst du überhaupt so etwas wie globale Solidarität?

Fatima Hassan | Tatsächlich kann ich keine globale Solidarität sehen. Zu Beginn der Pandemie wurde sie uns versprochen, doch dieses Versprechen wurde nicht gehalten. In einigen Ländern haben bereits zwanzig oder gar fünfzig Prozent der Bevölkerung eine Impfung erhalten, insbesondere in Nordamerika und Europa. In meinem Land, in Südafrika, ist noch nicht einmal genug Impfstoff für das Gesundheitspersonal angekommen. Es sind nur rund 250.000 im Gesundheitssystem tätige Personen geimpft worden. Wir werden also tröpfchenweise versorgt – eine missliche Lage, die allerdings auch selbstverschuldet ist. Wir hätten bereits letztes Jahr, als das Solidaritätsversprechen geäußert wurde, Maßnahmen setzen müssen, um sicherzustellen, dass alle vulnerablen Gruppen weltweit eine Impfstoffversorgung erhalten, die auf einer gerechten und fairen Priorisierung gründet und nicht nach Wohlstand, geografischer Lage, ethnischer Zugehörigkeit oder Nationalität unterscheidet.

OP | Bereits vor zwanzig Jahren warst du federführend an den Kämpfen um den Zugang zu Medikamenten in der HIV-Pandemie beteiligt. Heute sehen wir vielerorts eine Wiederholung früherer Fehler. Was sind die wichtigsten Lektionen von damals für den Kampf gegen die Covid-19-Pandemie?

FH | Es gab es vor allem eine Sache, vor der wir HIV-Aktivistinnen die Welt warnten, und zwar eine Public-Health-Krise. Zu einer solchen kommt es, wenn man den Menschen frühzeitige, rettende Interventionen vorenthält, die Menschen anderswo auf der Welt durchaus bekommen. Diese Situation entsteht etwa dann, wenn man entweder überzogene, nicht leistbare Preise verlangt oder es verweigert, das Wissen und die Patente zur Herstellung der entsprechenden Medikamente zu teilen. Viele Länder waren deshalb damals außerstande, lebensrettende anti-virale Präparate selbst herzustellen.

Als die Covid-19-Pandemie ihren Anfang nahm, warnten daher viele aus der HIV/Aids-Bewegung davor, die Fehler von damals zu wiederholen, also wieder dieselben Ungerechtigkeiten zu produzieren. Ein Jahr später befinden wir uns nun allerdings genau in dieser Lage. Die Pharmaindustrie und die sie überwachenden Institutionen tun schlicht nicht genug, um die Produktion auf das erforderliche Niveau zu bringen und den gravierenden Impstoffmangel zu beheben. 

In den meisten Teilen der Welt haben wir es mit einer Versorgungskrise zu tun. Selbst die reicheren Länder, etwa in Europa, haben damit zu kämpfen. Nur der Ruf nach Solidarität oder Charity, Wohltätigkeit und Freiwilligkeit führt in die gleiche Situation wie während der HIV/Aids-Pandemie. Regierungen lassen sich zu viel Zeit, die notwendige Kontrolle über die Pharmaindustrie auszuüben und sie zu den gebotenen Maßnahmen zu zwingen. Ohne schnelle Investments in den Ausbau der Produktionskapazitäten erreichen wir weder die erforderlichen Mengen an Impfstoff und Testkits für alle noch die Ressourcen für adäquate Behandlungen.

»In Südafrika kämpfen wir um den Zugang zu den grundlegendsten Informationen darüber, wie mit öffentlichem Geld Impfungen gekauft werden. Es ist aber der CEO von Pfizer, der über Zugang, Verteilung und Versorgung bestimmt. Die Öffentlichkeit in Südafrika weiß davon nichts.«

OP | Welche Unterschiede machst du in der Bewältigung der HIV/Aids-Pandemie im Vergleich mit der Covid-Pandemie aus?

FH | Der Unterschied zwischen Covid und HIV ist augenscheinlich. Covid ist ein hochansteckendes Virus, von dem in allen Ecken der Welt neue Varianten entstehen. Daher dachten wir, die Menschen würden nun zusammenarbeiten, damit genau zwei Dinge passieren: Erstens, Investitionen in die Forschung, um schneller Ergebnisse zu erzielen. Das ist auch tatsächlich passiert. Im Gegensatz zu HIV/Aids sehen wir, wie erhebliche Ressourcen der Suche nach Impfungen gewidmet wurden, und zwar im Schnellverfahren. Zweitens gingen wir davon aus, dass dieses Wissen nun auch geteilt würde. Wir dachten, aus schlichtem Eigeninteresse von allen Menschen weltweit – nicht nur aus der gesundheitlichen Perspektive, sondern auch wirtschaftlich gesehen – würden Patente und Wissen zugänglich gemacht. Eigentlich ist es unglaublich, wie sehr hier wieder die alten Argumente hinsichtlich geistigen Eigentums vonseiten der Pharmaunternehmen ins Feld geführt werden. Das hat mir die Augen geöffnet. Denn eigentlich sind ja seit HIV/Aids die Erkrankungs- und Todesraten bekannt, die auf die Verweigerung von Hilfe zurückgehen. 

OP | Dachtest du wirklich, es würde sich etwas ändern?

FH | Die Regierungen sind sich der gegenwärtigen Public-Health-Krise immerhin bewusst. Und doch verweigern sie den Durchgriff gegen die Pharmaindustrie, im globalen Norden wie im globalen Süden. Im Süden setzen wir alle Hoffnung auf den TRIPS-Waiver (der die Aussetzung von Patenten für Covid-19-Impfstoffe für die Dauer der Pandemie vorsieht, Anm.). Und im Norden vertrauen die Regierungen auf die freiwilligen Lizenzen, diplomatische Kriegsführung und wirtschaftlichen und politischen Druck auf bestimmte CEOs. Aber keine noch so mächtige Regierung ist gewillt, sich mit fünf oder sechs Pharmaunternehmen anzulegen, und den Transfer von Wissen, das sie und die Öffentlichkeit mitfinanziert haben, zu gewährleisten. Auch wenn sich so die Produktionskapazitäten erweitern ließen.

OP | Was sagt uns diese Selbstbegrenzung der Politik auf Freiwilligkeit und Corporate Responsibility über die globale Ordnung? Was sind die Gründe hinter der strikten Ablehnung der Aufhebung von Patenten und anderen geistigen Eigentumsrechten auf Covid-19-Präparate für die Dauer der Pandemie? Und was lernen wir im Moment über das Verhältnis zwischen transnationalen Kapitalinteressen und Regierungen?

FH | Wir stecken in ernsthaften Schwierigkeiten. Denn selbst mitten in einer Pandemie dieses Ausmaßes halten uns eine Handvoll Regierungen und ein paar CEOs regelrecht gefangen. Sie weigern sich partout, ihre Rechte an geistigem Eigentum, das sie für sich selbst beanspruchen, aufzugeben. Aber eigentlich müsste man sehr wohl diskutieren, wessen Eigentum das ist. Schließlich haben in vielen Fällen die Regierungen, besonders in den USA, in Großbritannien und in Deutschland, die Forschung maßgeblich mitfinanziert. Die Frage ist also, warum schreiten die Regierungen nicht ein? Der Grund hierfür wiederum ist: Sie selbst hängen in einem Netz aus Interessen an geistigen Eigentumsrechten, welche sie – im Gegensatz zum menschlichen Leben – für sakrosankt halten. Diese Ehrerbietung gegenüber privater Marktmacht zeigt, wie verkehrt die Weltordnung ist. Wenn wir von der WTO abhängen, um diese Pandemie zu überwinden, dann hat die Welt im Jahr 2021 ein ernsthaftes Governance-Problem – und ein Problem mit der Kontrolle von multinationalen Unternehmen. Es ist absurd, dass mitten in einer Krise der öffentlichen Gesundheit sechs oder sieben Unternehmen am Lenkrad sitzen: Sie entscheiden, wohin geliefert wird, wer für sie zu welchem Preis produziert, welche Ausnahme- und Entschädigungsklauseln verankert oder auch welche Vereinbarungen zur Geheimhaltung getroffen werden. Sie unterminieren weltweit demokratische Institutionen. In Südafrika kämpfen wir um den Zugang zu den grundlegendsten Informationen darüber, wie mit öffentlichem Geld Impfungen gekauft werden. Es ist aber der CEO von Pfizer, der über Zugang, Verteilung und Versorgung bestimmt. Die Öffentlichkeit in Südafrika weiß davon nichts. Ich denke, das ist ein Weckruf für Menschen auf der ganzen Welt, um zu zeigen, warum Widerstand gegen die Pharmaindustrie insbesondere für die öffentliche Gesundheit so wichtig ist. Deren Handeln kostet uns wertvolle Zeit und viele Menschenleben.

OP | Welche Bewegegründe hat die von dir angesprochene Big Pharma? Ist es die Angst vor einem Kontrollverlust oder gar die vor einem Paradigmenwechsel über diese Pandemie hinaus – weg vom Wohltätigkeitsansatz, bei dem die Pharmakonzerne ja noch am Lenkrad sitzen?

FH | Die Angst vor dem Kontrollverlust ist ein wichtiger Aspekt. Das sehen wir besonders in der Art, wie Big Pharma an den freiwilligen Lizenzen festhält: Sie, und nur sie, wollen über die Bedingungen entscheiden. Ihre Antwort auf diese Krise fußt nicht auf Fragen wie: Was braucht die Welt aus der Perspektive öffentlicher Gesundheit? Was benötigt die Welt, um sich zu schützen? Sondern auf der Sorge, wie sie ihre Macht und ihre Kontrolle während der Pandemie ausüben können. Das gilt auch für die Zeit danach, wenn Covid zu einer chronischen, aber behandelbaren Krankheit geworden sein wird.

Wenn sogar etwas wie der TRIPS-Waiver blockiert wird, dann stelle man sich nur vor, wie die handelspolitische und diplomatische Drohkulisse erst aussehen würde, wenn Entwicklungsländer eine Zwangslizenzierung forcieren. Covid richtet einen Scheinwerfer auf die bizarre systemische Ungleichheit, mit der wir konfrontiert sind – und die von der WTO gestützt wird. Es besteht eine tiefe Existenzkrise, weil all das ans Tageslicht kommt. Durch Covid wird es bloß noch klarer.

OP | Welche Rolle spielen diese sogenannten handelsbezogenen geistigen Eigentumsrechte eigentlich, wenn es um die Frage von Impfstoffen als globalen öffentlichen Gütern geht? 

FH | Ich versuche diese Frage einmal mit Blick auf die hinter uns liegenden Kämpfe um den Zugang zu medizinischer Behandlung in der HIV/Aids-Pandemie zu beantworten: Vor mehr als zwanzig Jahren wollte die südafrikanische Regierung lokale Maßnahmen sowie – parallel dazu – Importe vorantreiben, um die Versorgung mit Generika zu gewährleisten. Die internationale Pharmaindustrie klagte daraufhin und prozessierte gegen die damalige Mandela-Regierung. Das war ein internationaler Skandal, die Pharmaindustrie stand in einem äußerst schlechten Licht. Kurz darauf zog sie aus mehreren Gründen die Klage erst einmal zurück. Doch in der Folge kam es zu Verzögerungen vonseiten unserer Regierung, was die Verabschiedung der für ihren Plan notwendigen lokalen Gesetze betraf. Wir sind der Auffassung, dass der Grund dafür gezielter handelspolitischer Druck war, vor allem seitens der USA. So hat die damalige Clinton-Regierung zum Beispiel Südafrika aufgrund des Lobbying von US-Pharmaunternehmen auf ihre »Trade Watch«-Liste gesetzt. Das schloss die frühzeitige Beschwerde über den damaligen Regierungsplan ein. 

OP | Welche Strategien sind dir darüber hinaus bekannt, wenn es darum geht, in solchen Zusammenhängen handelspolitischen Druck auszuüben?

FH | Zuerst sollte man fragen: Was geschieht üblicherweise, wenn Staaten wie Thailand, Brasilien oder Südafrika einen öffentlichen Gesundheitsnotstand erklären? Oder wenn sie Zwangslizenzen durchsetzen? Oder wenn es mehrere Anbieter braucht, um die Versorgung mit generischen Medikamenten zu gewährleisten, die leistbar für Patientinnen sind? Eines dieser drei Dinge wird geschehen: Erstens, die Pharmaindustrie wird mit Klagen drohen oder tatsächlich klagen – wie wir das beispielsweise im südafrikanischen Fall gesehen haben.

Zweitens, ein Pharmaunternehmen geht zu seiner eigenen Regierung und beschwert sich. Das haben wir vor wenigen Wochen gesehen, als die US-Pharmaindustrie eine lange Liste an das US-Handelsministerium geschickt hat. Die Liste beinhaltete die Institutionen und Regierungen, über die es Beschwerden gab, weil sie im Rahmen der Covid-19-Krise geistige Eigentumsrechte gelockert hatten. Bei dieser zweiten Option wird ein Land dann auf eine »Trade Watch«-Liste gesetzt. Das ist insbesondere für ein Entwicklungsland eine ernsthafte Angelegenheit, weil sich das auf alle anderen Handelsbeziehungen auswirkt. Also wird die Frage virulent: Hat das betroffene Land genügend diplomatische Macht und ökonomische Kraft, um dem Druck standzuhalten? Manchmal besteht durchaus die Bereitschaft, sich zu wehren. Die Niederlande haben das letztes Jahr gemacht, als sie Engpässe bei Testkits hatten. Sie haben der Firma Roche mit Gegenmaßnahmen gedroht. Und es ist davon auszugehen, dass die Regierungen Südafrikas und Indiens derzeit hohem diplomatischen Druck und indirekten Drohungen ausgesetzt sind, ihren TRIPS-Waiver-Vorschlag in der WTO fallenzulassen. Zugleich kann man sich sicher sein, dass sich niemand offiziell dazu äußern wird. In jedem Fall wird es viele Anfeindungen und eine Menge Ärger geben, weil sie diesen Vorschlag vorangetrieben haben. Das entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, denn der Vorschlag selbst bewegt sich völlig innerhalb der Regeln der WTO und weit über hundert Länder unterstützen ihn.

Kommen wir aber zur dritten Möglichkeit. Diese betrifft die Situation, wenn die Pharmaindustrie realisiert, dass ein Land keinen Rückzieher machen wird, beispielsweise weil eine öffentliche Gesundheitskrise sonst einfach nicht bewältigbar ist. Dann sagt die Pharmaindustrie: Gut, natürlich helfen wir euch, aber wir wollen die Kontrolle haben. Wir werden freiwillige Lizenzvereinbarungen machen. Wir bestimmen, wer die Produktionslizenzen bekommt, wie hoch die Lizenzgebühren sind und zu welchen Regeln und Bedingungen das alles geschieht. Somit erledigt sich für die Pharmaindustrie das Problem, dass eventuell Zwangslizenzen durchgesetzt werden. Erst vor wenigen Wochen hat es sich in der EU genau so zugetragen. Die Kommission war angesichts der latenten Versorgungsengpässe wirklich aufgebracht und begann gegenüber Astra Zeneca und Pfizer fordernder aufzutreten. Daraufhin folgte die Ankündigung neuer Lizenzvereinbarungen. Und wieder saßen die Pharmafirmen am Lenkrad. Als ihre Lizenzpartner wählten sie Sanofi und Novartis aus. In den USA wählte Johnson & Johnson Merck aus. Wie so eine Auswahl zustande kommt, ist zudem nicht sonderlich transparent.

»Es ist davon auszugehen, dass die Regierungen Südafrikas und Indiens derzeit hohem diplomatischen Druck und indirekten Drohungen ausgesetzt sind, ihren TRIPS-Waiver-Vorschlag in der WTO fallenzulassen. Das entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, denn der Vorschlag selbst bewegt sich völlig innerhalb der regeln der WTO.«
 

OP | Die neue WTO-Generaldirektorin hat zuletzt einen »dritten Weg« in der Auseinandersetzung zu handelsbezogenen geistigen Eigentumsrechten angekündigt. Offenbar fußt dieser Vorschlag neuerlich auf einem »weichen« Ansatz: Anstatt geistige Eigentumsrechte auszusetzen, sollen Pharmafirmen zu mehr freiwilliger Kooperation und privaten Partnerschaften bewegt werden. Es scheint so, als ob der Fokus von der Diskussion zum TRIPS-Waiver weggeführt werden soll und eine Verzögerungstaktik verfolgt wird. Was ist deine Einschätzung, wenn es um die Strategien zur Eindämmung der wachsenden öffentlichen Kritik geht? Wie könnte die Public-Relations-Arbeit von Big Pharma und den mit ihr verflochtenen Regierungen in den kommenden Monaten aussehen?

FH | Deine Einschätzung teile ich definitiv. Die Verzögerungen, von denen du sprichst, ziehen sich bereits über acht, neun Sitzungen. Ich gehe davon aus, dass sie einer oder mehreren Absichten folgen. Die Verhandlungen sollen ganz offenkundig nicht zu einem allzu raschen, allzu konkreten Textvorschlag führen. Zudem soll das Vorzeigen von ein paar freiwilligen Lizenzen für positive Schlagzeilen sorgen und das Signal aussenden, dass ja ohnehin Wissen geteilt werde. Dieser angekündigte dritte Weg ist definitiv eine Ablenkung davon, Zwangsmaßnahmen und den umfassenden TRIPS-Waiver umzusetzen. 

Meine Bedenken gegenüber freiwilligen Maßnahmen oder diesem dritten Weg sind: Die Pharmaindustrie bestimmt damit weiterhin über das Marktgeschehen und die Lizenzen. Wir haben das bei Astra Zeneca und dem indischen Serum-Institut gesehen, wo sich jetzt herausstellt, wer tatsächlich der bevorzugte Abnehmer von Astra Zeneca sein wird, obwohl Serum eine Sub-Lizenz hat und vorgesehen war, dass es zwanzig Staaten mittleren Einkommens und zwanzig Staaten geringen Einkommens versorgen soll. 

Abgesehen davon, dass diese intransparent sind, besteht ein grundlegenderes Problem mit freiwilligen Maßnahmen: Sie fördern und verfestigen die schon bestehenden Ungleichheiten. Wer bitte wird in den kommenden Monaten, wenn die nächsten Versorgungskrisen auftreten, dann auch wirklich zum Zug kommen?

OP | Die alten Allianzen, die die Forderung nach Impfstoffen als globalen öffentlichen Gütern voranbringen wollten, haben sich zuletzt als brüchig erwiesen. Wenn wir beispielsweise den Blick auf Brasilien richten: Hier gab es bei der Bekämpfung von HIV/Aids enge Bande, gerade auch in der WTO. Zuletzt hat sich Brasilien allerdings im TRIPS-Waiver-Konflikt gegen die Ausnahmeregelung für Impfstoffpatente gestellt. Was sind diese alten Allianzen wert und wie könnten künftige Bündnisse aussehen?

FH | International sind die Allianzen und Beziehungen zwischen der Arbeiterbewegung, der Zivilgesellschaft, Aktivistinnen und Wissenschaftern im Bereich der öffentlichen Gesundheit jedenfalls noch intakt. Und derzeit baut auch viel auf diesen alten HIV/Aids-Netzwerken auf. In Südafrika waren wir während der HIV/Aids-Krise mit einer Regierung konfrontiert, die alles geleugnet hat. Doch wir hatten die internationalen Solidaritätsnetzwerke. Derzeit haben wir es wiederum mit einer viele Fakten rund um Covid-19 leugnenden Regierung in Brasilien zu tun – aber unsere Netzwerke reichen nach wie vor dorthin. Es besteht eine hohe Solidarität zwischen Akteuren aus den Gewerkschaften, religiösen Organisationen und der Zivilgesellschaft. Und zwar unabhängig davon, dass zwischen unserer südafrikanischen und der brasilianischen Regierung derzeit ganz offenkundig wenig Übereinstimmung besteht. Das soll nicht heißen, dass die Rolle der Bolsonaro-Regierung innerhalb der BRICS-Staatengruppe nicht im Blick zu behalten wäre. In der Tat ist es ja so, dass Indien und Südafrika als Teil der BRICS-Staaten den TRIPS-Waiver-Vorstoß ganz entscheidend vorantreiben, während Brasilien das Gegenteil tut.

Fatima Hassan ist Menschenrechtsanwältin sowie Gründerin und Leiterin der in Kapstadt ansässigen Health Justice Initiative (HJI). Sie zählt zu den Initiatorinnen des weltweiten Aufrufs »Covid-19: A call for global vaccine equity«, der mittlerweile von über tausend Wissenschaftern sowie Expertinnen aus den Bereichen öffentliche Verwaltung und öffentliche Gesundheit getragen wird. Mit den Auswirkungen geistigen Eigentums auf die Gesundheitsversorgung in der Covid-19-Pandemie setzt sich Hassan auch in ihrem Podcast Access auseinander.

0

    Warenkorb

    Ihr Warenkorb ist leerZurück zum Shop