Massao Mascaro: Tragischer Held
von Margit Neuhold
»Bilder der Auseinandersetzung« 10/2021. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«.
Ein mit Graffiti besprühtes, fix installiertes Wertkartentelefon mit nach unten baumelnden Telefonhörern – es scheint aus der Zeit gefallen und gibt Rätsel auf. Demgegenüber eine Fotografie, in der sich Menschen im Meer tummeln oder an einer felsigen Küste verweilen. Diese zwei Aufnahmen sind Teil von Massao Mascaros Serie Sub Sole, die in den Jahren 2017 bis 2021 entstanden ist. In sieben Reisen folgte der Künstler den Spuren Odysseus nach Ceuta, Neapel, Athen, Palermo, Istanbul, Tunis und Lampedusa. Einst Wiege europäischer Kultur sind diese Städte und Orte am Mittelmeer heute geprägt von Migration, politischer Instabilität und ökonomischen Krisen. Prognosen zur Entwicklung des Klimawandels weisen darauf hin, dass sich diese Region schneller erwärmt als der Rest der Welt.
Massao Mascaro kartografiert dieses im steten Wandel begriffene Territorium. Er richtet den Blick auf junge Menschen, die diesen Teil der Welt queren oder bewohnen und lässt uns im Unklaren darüber, ob es sich bei den Porträtierten um Vertriebene, Geflüchtete oder Einheimische handelt. Die analogen Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen unterschiedliche Architekturen von Blockaden und Grenzzäunen, aber auch Menschen, die einander helfen und sich beim Durchschlüpfen gegenseitig unterstützen. Buchstäblich dem Titel Sub Sole (dt.: »Unter der Sonne«) folgend, sind auf den Bildern karge Landschaften, im Freien gefundene, enigmatische Situationen oder skulptural anmutende Gefüge zu sehen. Gab es einen ernsthaften Vorfall oder verbirgt sich dahinter lediglich eine merkwürdige oder rätselhafte Gegebenheit?
Assoziativ wurzelt Sub Sole in unterschiedlichen literarischen Textformen und Themen: in der Antike, im Antifaschismus der Werke des Literaturnobelpreisträgers Eugenio Montale, im Motiv der Ewigkeit beim Mitbegründer des magischen Realismus Jorge Luis Borges, in der Idee des Gastes und der Gastfreundschaft bei der Philosophin Barbara Cassin. Aktuell hat Massao Mascaro einen Teil der Serie in einen wie ein Gedichtband funktionierenden Fotoband mit gleichlautendem Titel zusammengeführt. Im Zentrum steht der Mittelmeerraum als tragischer Held, der ganz nebenbei dringliche Fragen aufwirft.
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