Der ökologische Leninist

von Adam Tooze

Illustration: Anna Gusella

Braucht es einen Kriegskommunismus des 21. Jahrhunderts, um der Klimakatastrophe zu entgehen? Über drei Veröffentlichungen des Historikers und Aktivisten Andreas Malm und dessen radikale Perspektiven einer postpandemischen Klimapolitik.


3698 wörter
~15 minuten

Die Uhr tickt. Viel Zeit bleibt nicht mehr für das Projekt Dekarbonisierung, also eine Wirtschaftsweise ohne Kohlenstoff. Die Regierungen versichern, dass schon alles gut werden wird, dass die Risiken abschätzbar bleiben. Manche behaupten, dass uns Technologien retten werden – scheinbar Unmögliches hätten die Menschen immer wieder vollbracht. Warum nicht auch dieses Mal. Aber wieso sollten wir diesen Stimmen trauen, wenn bis dato die Fortschritte in der Dekarbonisierung äußerst beschränkt waren und die Interessen der Fossilwirtschaft unverändert tief in globale Machtnetzwerke hineingewoben sind? Die politischen Exponenten dieser Fossilwirtschaft mögen zwar zynische Erfüllungsgehilfen sein, aber die breite Unterstützung für den Erhalt des auf fossilen Brennstoff basierenden Modells ist keine Schimäre, sondern real. Die Emissionskoalition scheint von einer Art Todestrieb angetrieben und leugnet wissenschaftliche Expertise. Auch wenn liberale Politiker immer wieder lauthals ihre Empörung kundtun – wenn es darauf ankommt, schrecken sie zurück. Zugleich gibt es mittlerweile sich periodisch wiederholende Protestwellen, Schülerinnen streiken, die Forderungen nach einem neuen Sozialvertrag und einem gerechten Wandel mehren sich. Und es gibt eine bis dato noch kleine Minderheit, die zur Rebellion aufruft. 

Die beschriebene Situation könnte, mit nur geringfügigen Abweichungen, auch das Porträt eines Landes sein, das gerade einer Niederlage in einem größeren Krieg entgegengeht: der unerbittlich zunehmende Zeitdruck; beschränkte und sich in hohem Tempo erschöpfende Ressourcen; selbstgewisse Technokraten; die Verheißung von Wunderwaffen; eine unauflösbare Polarisierung zwischen Pro- und Antikriegsfraktionen; ein zusehends verzweifelter Unmut unter den Jüngeren, die ein Ende des Irrsinns fordern. Krieg ist noch immer ein Schlüssel, um über kollektive Bedrohungen und die Möglichkeiten des Handels in deren Angesicht nachzudenken, und in der Klimapolitik ist die Rhetorik von Krieg und Kriegsmobilisierung mittlerweile alltäglich.

Aber klingt das nicht zu einfach? Ein »guter«, von Demokratien gefochtener Krieg, der dann in einen spektakulären Sieg sowie den Beginn eines goldenen Zeitalters wirtschaftlichen Wachstums mündet? Liest man die jüngsten Veröffentlichungen des Historikers und Klimaaktivisten Andreas Malm, dann wird man mit einer Kritik an solch selbstgefälligen historischen Einordnungen konfrontiert. Malm zieht eine andere Analogie vor: Die jetzige Situation eigne sich besser für einen Vergleich mit dem Ersten Weltkrieg und seinen Nachwirkungen, also einer Welt revolutionärer Umbrüche und faschistischer Gewalt – einer Welt, die den Beginn, nicht das Ende einer Epoche der Krisen markierte.

Beschwört man dagegen den Zweiten Weltkrieg und die Geburt des modernen interventionistischen Wohlfahrtsstaates herauf, dann hält man sich an Denker wie John Maynard Keynes und sein Versprechen: »Alles, was wir real umsetzen können, können wir uns auch leisten.« Der Erste Weltkrieg und die Jahre danach bringen indes ein ganzes anderes Ensemble von Akteuren auf die gedankliche Bühne. Andreas Malms politischer Hintergrund ist der Trotzkismus, und er bezeichnet sich aktuell als ökologischen Leninisten. Er und seine Co-Autorinnen des im Mai dieses Jahres bei Verso erschienenen Buchs White Skin, Black Fuel treten im Kollektiv auf. Sie tragen den Namen The Zetkin Collective, beziehen sich also auf die deutsche Kommunistin und Feministin Clara Zetkin, auf deren Faschismusanalyse sie zurückgreifen.

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