Am 19. November tötete ein 59-jähriger Innsbrucker seine 50-jährige Ehefrau. Nur vier Tage zuvor wurde eine junge Frau in Villach von einem Mann aus ihrem nahen Umfeld ermordet. Es waren die Femizide 25 und 26 in diesem Jahr. Als wir vor ziemlich genau zwölf Monaten an der Produktion der letztjährigen Winter-Doppelnummer saßen, lag diese Zahl für das Jahr 2020 bei 20. Lena von Holt fragte damals, warum auf diese Morde »statt gesellschaftlicher Empörung […] gespenstische Gleichgültigkeit« folge. Auf der Suche nach Antworten traf sie auf Hanife Adaa, die von ihrem Ex-Mann fast umgebracht wurde und seither Frauen hilft, sich aus Gewaltbeziehungen zu befreien. Adaa wurde zur Protagonistin der Reportage »Die Überlebende«, für die von Holt am 11. November den Prälat-Ungar-Anerkennungspreis in der Kategorie Print erhalten hat. Eine verdiente Bestätigung für ein Stück, das zeigt, wie die gesamte Gesellschaft von patriarchaler Gewalt durchzogen ist, statt voyeuristisch auf einzelne Taten zu blicken.
Nur wenige Tage vor der Verleihung des Prälat-Ungar-Preises erhielt unsere Autorin Raphaela Edelbauer den Österreichischen Buchpreis 2021 für ihren Roman Dave. Im TAGEBUCH hat sich Edelbauer zuletzt eines ähnlichen Phänomens wie von Holt angenommen: In der Titelgeschichte unserer September-Ausgabe schrieb sie über die »Manosphere«, jene digitale Sphäre, in der sich Männer in großer Zahl in Gewalt- und Revanchevorstellungen ergehen, die sich hernach viel zu oft in realen Gewalttaten materialisieren.
Was wir nicht geahnt hatten, war, dass Edelbauer die Hälfte ihres Preisgeldes, immerhin 10.000 Euro, dem TAGEBUCH stiften würde. Wir sind angesichts dieser Großzügigkeit nach wie vor überwältigt, dankbar – und entschlossen, sie dafür als Gesellschafterin am Tagebuch Verlag zu beteiligen.
Es sind solche und andere Gesten, große wie kleine, die uns im Moment bestärken. Spätestens seit der letzten Ausgabe liegt offen: Das TAGEBUCH kämpft. Wir brauchen mehr Leserinnen und Leser, mehr Abonnentinnen und Abonnenten, um diese Zeitschrift dauerhaft erscheinen lassen zu können. Seit Beginn unserer Abo-Kampagne sind wir erheblich gewachsen. Allerdings noch nicht in jenem Ausmaß, das wir uns erhofft hatten. Daher werden wir mit der Kampagne in die Verlängerung gehen. Unser Appell bleibt: Wenn Ihnen diese Zeitschrift zusagt, dann abonnieren Sie jetzt! (Und wenn Sie der Meinung sind, ein TAGEBUCH-Abo wäre ein lohnendes Geschenk für einen lieben Menschen: Der Dezember hält dafür eine Gelegenheit bereit.)
Was Edelbauers Geste sichtbar macht, ist zugleich eine Verbundenheit mit diesem Zeitschriftenprojekt und dessen politischem Ethos, das sich auch in diesem Heft darin ausdrückt, die Gewalt dieser Welt ungeschönt und in all ihren Facetten auszustellen. Jana Volkmann etwa führt das Thema der patriarchalen Gewalt in ihrem Gespräch mit der mexikanischen Schriftstellerin Fernanda Melchor fort, das so politisch wie persönlich geraten ist. Wie der eskalierenden Gewalt der Klimakrise Einhalt geboten werden kann und ob dafür sabotierende, gar terroristische Gegengewalt nötig sein könnte, diskutiert Adam Tooze in Auseinandersetzung mit den Thesen des Historikers und Aktivisten Andreas Malm. Und in Lisa Kreutzers Titelgeschichte über den Alltag des Amazon-Paketboten Hafeez wird deutlich, wie die nicht minder gewaltvolle alltägliche Schinderei in den Normalbetrieb der Online-Warenwelt eingebaut ist.
Mit der vorliegenden Nummer geht das TAGEBUCH in seinen dritten Jahrgang. Jana Volkmann hat an dieser Stelle zuletzt Lea Berndorfer, unsere Jahrgangsillustratorin 2021, verabschiedet. Nun folgt ein Willkommensgruß: In visueller Hinsicht wird diese Zeitschrift ab sofort maßgeblich von Anna Gusella bestimmt sein. Die Berlinerin, die in der Vergangenheit unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet hat, wird die kommenden zehn Ausgaben illustrieren. Wir freuen uns – erst recht nach der Produktion des ersten gemeinsamen Hefts – auf die Zusammenarbeit!
Ihre Spende für kritischen Journalismus
Linker Journalismus ist unter Druck. Zumal dann, wenn er die schonungslose Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen profitablen Anzeigengeschäften vorzieht. Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie es uns, kritische Berichterstattung auch angesichts steigender Kosten in gewohnter Form zu liefern. Links und unabhängig.