El Salvadors Präsident Bukele bei der »Bitcoin-Week« im November 2021 in Teotepeque. (Foto: J. Cabezas / Reuters)

Der riskante Kryptohype

von Tobias Boos

Seit September letzten Jahres ist in El Salvador der Bitcoin offizielles Zahlungsmittel. Der Trend zur Kryptowährung in den Ländern des globalen Südens birgt allerdings mehr Gefahren als Chancen.


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Ein junger Mann tigert eine Bühne rauf und runter. Er ist keine 30 Jahre alt, trägt Hoodie und Baseballcap. Der Saal ist voll besetzt, während er enthusiastisch über El Salvador berichtet. Auf die Wand hinter ihm werden unterdessen Inflationscharts, Strandbilder und Fotos mit Regierungsberatern projiziert. Das Highlight des Vortrags ist jedoch eine Grußbotschaft: In dem eineinhalbminütigen Video verkündet der Grüßende, sein Land werde den Bitcoin per Gesetz zum offiziellen Zahlungsmittel machen. Noch während der Clip läuft, verfällt der Saal in Standing Ovations; der junge Mann reißt sich seinen Kapuzenpulli über den Kopf, entblößt darunter ein Trikot der salvadorianischen Nationalmannschaft. Schließlich bricht er in Tränen aus und feiert das Bitcoin-Gesetz El Salvadors als »gigantischen Sprung für die Menschheit«.

Der Name des Endzwanzigers ist Jack Mallers, er ist Besitzer von Strike, einer Bitcoin-Bezahl-App. Gerüchteweise soll Mallers am salvadorianischen Bitcoin-Gesetz gar mitgeschrieben haben. Der Mann im Videoclip wiederum ist kein geringerer als der Präsident El Salvadors, Nayib Bukele. Schauplatz dieser bizarr anmutenden Szenerie ist die Bitcoin-Konferenz 2021 in Miami Beach. Alljährlich treffen sich dort Bitcoiner, Start-ups, Krypto-Enthusiastinnen und Geldgeber, um über die neusten Trends in der Welt der Kryptowährungen und -assets zu diskutieren. Einer dieser Trends sind Krypto- und Blockchainunternehmungen im globalen Süden.

Kryptohype und wiederkehrende Debatten

Die faszinierende Geschichte des Bitcoins ist mittlerweile hinreichend überliefert. 2008 veröffentlichte ein Unbekannter unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto ein sogenanntes Whitepaper, in dem er die Schaffung eines elektronischen Zahlungssystems vorschlug. Die Grundidee ist, dass Zahlungen direkt zwischen zwei Vertragspartnern (»peer-to-peer«) getätigt werden können, ohne dass es Intermediäre, das heißt Banken oder andere Finanzdienstleister, braucht. Stattdessen werden die Transaktionen über das Bitcoin-Netzwerk abgewickelt. Hierzu werden sie in einer für alle einsehbaren Datenbank, einer Art öffentlichem Kontobuch, verzeichnet. Diese Datenbank ist jedoch nicht an einem Ort, sondern dezentral gespeichert. Kryptografische Verfahren garantieren die Richtigkeit der Transaktionen und verhindern, dass die Aufzeichnungen der Datenbank rückwirkend verändert werden. Die Technologie dahinter nennt sich Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Eine dieser DLTs ist die sogenannte Blockchain, auf der Bitcoin und die meisten anderen Kryptowährungen beruhen.

2009 ging der erste Bitcoin durch das Netzwerk. Lange Zeit ein Nischenthema, werden mittlerweile weit über 200.000 Transaktionen täglich über das Bitcoin-Netzwerk abgewickelt. Im November 2021 erreichte der Bitcoin sein bisheriges Allzeithoch von 69.000 US-Dollar. Seit seiner ersten rasanten Kurssteigerung im Jahr 2011 entflammt die öffentliche Debatte um Kryptowährungen mit jedem Preisanstieg von neuem. Zumeist dreht sich die Diskussion um die Frage, ob es sich bei Bitcoin und anderen Kryptocoins nun um Geld handelt oder nicht. Manche sehen eine grundlegende Transformation der Geld- beziehungsweise Finanzmärkte und in der zugrunde liegenden Blockchain-Technologie nicht weniger als eine technologische Revolution. Skeptischere Stimmen warnen vor einer riesigen Spekulationsblase an den Finanzmärkten und vor den Folgen, sollte der Kryptohype ein plötzliches Ende finden. Sie weisen auch auf die fragwürdigen geldpolitischen Zielsetzungen und Annahmen hinter Bitcoin hin: Eine deflationäre Währung, die sich jeglicher geldpolitischen Steuerung entzieht, ist volkswirtschaftlich gesehen kaum wünschenswert.

Die ideologischen Wurzeln dieser Annahmen gehen zurück auf die österreichische Schule der Nationalökonomie. Beat Weber, seines Zeichens Ökonom bei der österreichischen Nationalbank, hat diese Wurzeln in seinem Buch Democratizing Money? (2018) herausgearbeitet. Geld funktioniert für Ökonomen wie Carl Menger, Ludwig von Mises oder Friedrich Hayek ähnlich wie Waren: nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Seine Funktion als Tauschmittel steht für die österreichische Schule im Vordergrund. Ihre oberste Priorität ist es, eine Inflation zu vermeiden, die vor allem durch Kredite entstehe. Deshalb seien Privat- und Zentralbanken die Hauptverursacher von ökonomischen Krisen.

Vor diesem Hintergrund werden viele der Glaubenssätze, die man bei Bitcoinern antrifft, etwa die radikale Ablehnung von Zentralbanken, klarer. Warum der Bitcoin so designt ist, dass er in Zukunft immer knapper wird, wird ebenfalls augenscheinlich: So soll Inflation vermieden werden. In dieser marktradikalen Vision sind selbst Geld und Geldschöpfung beim Markt besser aufgehoben als bei staatlichen Regulierungsinstitutionen.

Fix the money, fix the world

Die wirtschaftswissenschaftliche Tradition, in der Bitcoin steht, ist unstrittig. Unübersichtlicher wird die Lage in anderen Bereichen. Krypto-Enthusiastinnen, die des Marktfundamentalismus unverdächtig sind, weisen zurecht auf die Heterogenität des Krypto-Universums hin: Die Community beschränkt sich nicht auf libertäre Bitcoiner und Anarchokapitalistinnen. Für andere steht der Open-Source-Gedanke hinter Bitcoin im Vordergrund. Ihre Ablehnung gegenüber dem Staat speist sich dabei nicht aus marktradikalen Glaubenssätzen. Stattdessen sind ihre zentralen Bezugspunkte die Cyberpunk- oder die Occupy-Wall-Street-Bewegung. Dezentrale Lösungen von unten müssten einer wachsenden staatlichen Überwachung und einer Politik im Interesse der Banken und Wohlhabenden entgegengesetzt werden. Sie betonen, wie revolutionär die Blockchain-Technologie sei und dass man sie nicht den Profitinteressen überlassen dürfe. Auf die Frage hin, wo die Technologie sinnvoll eingesetzt werden könnte, wird jüngst immer öfters auf den globalen Süden verwiesen.

Dem Motto »Fix the money, fix the world« folgend, werden Bitcoin und Blockchain-Technologien mittlerweile als Lösung für allerlei Probleme in der Entwicklungspolitik angepriesen. Armutsreduktion, Inflationsbekämpfung oder die Senkung von Rücküberweisungskosten sind nur einige der Versprechen, die mit den Technologien verbunden werden.

Diese Versprechen reihen sich ein in eine Entwicklung, die sich seit der Finanzkrise von 2008 beobachten lässt.Schon vorher hatte die Finanzbranche die Entwicklungspolitik für sich entdeckt. In den 1990er und 2000er Jahren pries sie Mikrokredite als Allheilmittel an. Seit der Krise von 2008 ist das Paradigma der Entwicklungsbranche nun »finanzielle Inklusion«. Der fehlende Zugang zu Finanzdienstleistungen wird als Ursache für Armut und »Unterentwicklung« ausgemacht. Die sogenannten Unbanked, eben jene, die über einen solchen Zugang nicht verfügen, werden zu primären Adressaten von Entwicklungsunternehmungen. Deshalb treibt seit einigen Jahren eine Allianz aus Entwicklungsagenturen, Fintechs und Stiftungen (die Ökonominnen Daniela Gabor und Sally Brooks sprechen sogar von einem »Fintech-Philanthropie-Entwicklungskomplex«) die Agenda einer globalen Finanzinklusion voran. Finanzielle Inklusion führe zum Empowerment der Armen und beseitige globale Ungleichheiten, beteuern sie.

Dieser Argumente bedient sich auch Präsident Bukele in El Salvador. In seiner nach Miami übertragenen Botschaft sprach er von der finanziellen Inklusion der Salvadorianer, die der ärmeren Bevölkerung zugutekäme. Durch seine Ankündigung ist der Präsident des kleinen mittelamerikanischen Landes in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Die internationale Bitcoin-Community feiert Bukele als Visionär. Er selbst befeuert den Hype mit täglichen Tweets und Verlautbarungen. Doch wie kam es überhaupt dazu?

CEO von El Salvador

2019 wählten die Salvadorianerinnen und Salvadorianer Nayib Armando Bukele Ortez zum Präsidenten. Zu diesem Zeitpunkt war Bukele gerade einmal 37 Jahre alt. Das wichtigste Versprechen des »Millennial-Präsidenten«: durch eine Law-and-Order-Politik mit den Bandenstrukturen, der Gewalt und der Korruption aufräumen. Sein bevorzugtes Werkzeug: Twitter. Dabei ist Bukele ein politischer Opportunist im besten Sinne. Er entstammt der politischen Linken, gründete aber eine eigene Partei, die ganz auf ihn zugeschnitten ist. Sein primäres Ziel scheint der eigene Machterhalt, politische Inhalte spielen eine untergeordnete Rolle. Vor Drohungen gegenüber Oppositionellen schreckt er nicht zurück. Kritikerinnen wirft er auch mal vor, von George Soros finanziert zu werden. Seit seinem Amtsantritt entfernt er zielstrebig Personen mit abweichenden Meinungen aus den politischen Institutionen. 2020 ließ er das Militär im Parlament aufmarschieren, um die Opposition dazu zu bringen, einen Kredit zur Aufrüstung von Polizei und Militär zu bewilligen. Im Mai 2021 setzte er verfassungswidrig die fünf Richter der Verfassungskammer und den Generalstaatsanwalt ab. Anschließend bestückte er die Ämter mit ihm politisch Ergebenen. Diese entschieden umgehend, dass Bukele bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2024 erneut kandidieren dürfe – eigentlich verbietet die Verfassung einen unmittelbaren Wiederantritt. Darüber hinaus schickte die Regierung gut ein Drittel aller Richter und Staatsanwältinnen in den frühzeitigen Ruhestand. All das rechtfertigt Bukele mit Korruptionsbekämpfung und einem notwendigen Neustart des Landes.

Der autoritäre Umbau des Staates kommt jung und dynamisch daher. Bukele tritt gerne mit umgedrehtem Baseballcap und Lederjacke auf. Auf Twitter führt er die Selbstbeschreibung »CEO of El Salvador«. Kritikerinnen verspottete er, indem er sich kurzerhand zum »coolsten Diktator der Welt« ernannte. Das alles scheint gut anzukommen. Bukele erfreut sich großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Allerdings ist die Kritik an ihm lauter geworden. Die Hinweise auf Korruption in der Regierung und dem Zirkel um Bukele verdichten sich in letzter Zeit. Hochrangige Funktionäre und ehemalige Minister seiner Regierung stehen mittlerweile auf der Liste korrupter Politiker des US-Außenministeriums. Im Hintergrund der Regierung werkeln die Brüder Bukeles und dubiose Beraterinnen. Obwohl sie keine offiziellen Posten bekleiden, kassieren sie intransparente Honorare, führen Verhandlungen und präsentieren sich als offizielle Regierungsvertreter. So mancher vermutet, dieser Kreis schneide gut an der Einführung des Bitcoins mit. In jedem Fall ist der spektakuläre Move des Präsidenten eine willkommene Ablenkung. Das Image des Bitcoins als revolutionäre und zukunftsweisende Technologie ist wie maßgeschneidert für Bukele. Allerdings verlief der Start von Bitcoin als offiziellem Zahlungsmittel mehr als holprig.

Stotterstart

Am 7. September 2021 trat das Bitcoin-Gesetz in Kraft. Doch bereits am ersten Tag musste »Chivo« aus den Appstores wieder entfernt werden. Chivo ist die von der Regierung für Bitcoin-Zahlungen bereitgestellte App. Auf älteren Smartphonemodellen lief sie zunächst gar nicht. Online findet man zahlreiche Berichte über gefälschte Nutzer-Accounts. Ganz offensichtlich mangelte es der App auch an Sicherheitsfunktionen, um jene Regulierungen zu erfüllen, die die Zentralbank El Salvadors zur Verhinderung von Geldwäsche vorschreibt. Selbst Bitcoin-Enthusiasten, die sich nach El Salvador aufgemacht hatten, berichteten entsetzt darüber, wie dilettantisch die App zusammengeschustert ist. Teilweise scheinen Transaktionen und Guthaben einfach zu verschwinden. Die technische Infrastruktur hinter der App ist genauso intransparent wie die Frage, wer die rechtliche Verantwortung trägt. Kürzlich tradete Bukele Bitcoin mit öffentlichen Geldern auf seinem Handy und prahlte damit auf Twitter. Sein jüngster Stunt: Er kündigte den Bau einer Bitcoin-City an. Betrieben werden soll sie durch geothermale Energie aus einem Vulkan. Finanzieren will Bukele die Krypto-Stadt durch einen »Vulkan-Bitcoin-Bond«.

Man könnte das alles als ein Schelmenstück des Präsidenten abtun. Für die Salvadorianerinnen und Salvadorianer steht aber viel auf dem Spiel. In ihrem Haushalt hat die Regierung mehr als 200 Millionen US-Dollar für die Bitcoin-Implementierung vorgesehen. Bukele will zukünftig noch mehr öffentliche Gelder in Bitcoin investieren. Während Krypto-Investorinnen aus dem Häuschen sind, warnen herkömmliche Finanzinstitutionen. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben etwa bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zukünftige Finanzmittel infrage gestellt. Seit Mitte 2021 ist der Wert der salvadorianischen Staatsanleihen rapide gefallen. Kollabiert das ganze Projekt, könnte das auf Jahrzehnte verheerende finanzielle Folgen für das Land haben.

Und noch grundlegendere Widersprüche lassen aufhorchen: Das »Mining« von Bitcoin verbraucht enorme Energiemengen. Dabei produziert das Land bereits jetzt zu wenig Energie, um den Bedarf der Bevölkerung zu decken und importiert deshalb Teile seiner Energie aus dem Ausland. Die Rechenzentren, in denen die Bitcoins »geschürft« werden, würden ausschließlich durch erneuerbare geothermale Energie betrieben, argumentiert die Regierung. Allerdings müssen diese Rechenzentren im tropischen Klima El Salvadors gekühlt werden. Die salvadorianische Internetzeitung El Faro berichtete unlängst über den Wassermangel, der bereits jetzt in der Region herrscht, in der die erste »Bitcoinmine« El Salvadors steht. Und so ist die Skepsis gegenüber dem Bitcoin trotz der großen Beliebtheit Bukeles groß. Schlimmer noch: Viele Salvadorianer wissen kaum etwas über Bitcoin, wie eine Studie der Zentralamerikanischen Universität feststellt. Bukele kann also relativ unbehelligt zu Werke gehen.

Krypto-Rollout gen Süden

Bukeles Experiment in El Salvador ist kein Einzelfall. Es ist Teil eines massiven Krypto-Rollouts in den globalen Süden. Im Normalfall braucht es dazu ein staatliches Bitcoin-Gesetz. Andernorts rücken Bitcoiner auf eigene Faust aus, um nach Orten zu suchen, an denen sie ihre Vision von Geld und Gesellschaft verwirklichen können. So zogen Teile der Krypto-Community 2018 nach Puerto Rico, um dort ein »Cryptoutopia« zu gründen. Zuvor war der Hurrikan María über das Außengebiet der USA hinweggefegt, hatte große Teile der Infrastruktur auf der Insel zerstört und fast 3.000 Puerto Ricanern das Leben gekostet. Naomi Klein und Lauren Feeney haben die »Landung der Puertopians« vor Ort in einer sehenswerten Multimediareportage dokumentiert.

Brock Pierce ist die zentrale Figur hinter Cryptoutopia. Der ehemalige Kinderschauspieler wirbt auf seiner Homepage für die Errichtung von »qualified opportunity zones« in Puerto Rico. Er ist eine jener zwielichtigen Gestalten, die unter dem Banner der Philanthropie Geld in den Krypto-Rollout in Richtung globaler Süden investieren. Man wolle Puerto Rico als ein Zentrum für Kryptotechnologien wiederaufbauen und zu einer Wissensökonomie umgestalten, erzählen die Puertopians. Puerto Rico ist für ein solches Unterfangen interessant, weil es ein Steuerparadies innerhalb der Vereinigten Staaten ist. Das macht es für die notorischen Staatsskeptiker des libertären Teils der Kryptoszene besonders attraktiv. Sie empfinden Steuern und jegliche Eingriffe des Staates als Ungerechtigkeit und als Verletzung ihrer individuellen Freiheitsrechte. Für sie ist der globale Süden durch den Mangel an gesetzlichen Regulierungen und aufgrund teils fehlender staatlicher Handlungsfähigkeit eine reizvolle Spielwiese.

Das Ganze lässt auch vor dem Hintergrund der kolonialen Einbindung Puerto Ricos in die Vereinigten Staaten aufhorchen. Das Land ist bis heute kein eigenständiger Bundesstaat, seine Bewohnerinnen sind unter anderem vom Wahlrecht bei der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen. Auch auf Hilfen im Anschluss an Hurrikan María musste Puerto Rico lange warten. Der Fall ist dabei paradigmatisch für das »Frontier«-Denken, wie es häufig in der Kryptoszene anzutreffen ist. Die Wunschvorstellung einer gesellschaftlichen Tabula rasa ist ein wiederkehrendes Motiv unter den Libertären. Der globale Süden wird als weißer Fleck auf der (Krypto-)Landkarte imaginiert. Gleich dem »Wilden Westen« gilt es, ins Grenzland auszureiten, »Claims« abzustecken und die Zukunft der Zivilisation zu begründen.

Unerfüllte Versprechen

Bei alledem greifen die Versprechungen, die mit Bitcoin verknüpft werden, reale Herausforderungen im globalen Süden auf. Rücküberweisungen machen in diesen Ländern oft einen wichtigen Teil des Bruttoinlandsproduktes aus, in El Salvador im Jahr 2020 zum Beispiel 24 Prozent. Die Kosten für die Rücküberweisungen sind oft hoch und private Finanzdienstleister wie Western Union verdienen gut daran. Diese Rücküberweisungskosten zu senken ist unter anderem Teil der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen.

Die Abhängigkeit vom US-Dollar ist ein ebenso reales Problem vieler Ökonomien des globalen Südens. Sie müssen Reserven in Fremdwährungen aufbauen, um beispielsweise Importe zu finanzieren. El Salvador seinerseits ist seit 2001 dollarisiert. Das Land kann also keine eigene Geldpolitik machen. In anderen Ländern des globalen Südens wiederum ist die Idee einer deflationären Währung für Teile der Bevölkerung durchaus attraktiv, vor allem in Ländern mit regelmäßigen Inflationsspiralen. Nicht zufällig sind Kryptowährungen etwa in Argentinien, Nigeria oder dem Libanon derzeit ein wichtiges Thema.

Gleichwohl: All diese Versprechen erfüllt der Bitcoin derzeit nicht. Er ist nicht kostenlos. Die ökologischen Belastungen einmal ausgeklammert, arbeiten auch die Intermediäre in El Salvador nicht gratis. So werden die anfallenden Kosten bei Rücküberweisungen und Umtausch in Dollar mit öffentlichen Geldern bezahlt. Bitcoin wird dort also ganz klassisch staatlich subventioniert. Verfechter des Bitcoins spekulieren damit, dass dieser sich als weithin akzeptiertes Zahlungsmittel durchsetzen wird und es künftig keine Schnittstellen zu anderen Systemen mehr braucht. Viele der Versprechen von Bitcoin operieren mit dieser vollkommen hypothetischen Annahme.

Auch bei der Frage, wie Länder des globalen Südens geldpolitische Souveränität zurückerlangen können, scheint der Bitcoin weniger Lösung als Problem. Immerhin gibt er den Ländern keine neuen geldpolitischen Werkzeuge an die Hand. Stattdessen ist er ein hochvolatiles Spekulationsasset. Viele Menschen im globalen Süden leben von ihren Tageseinkommen. Nicht zu wissen, wie viel das wenige Geld am nächsten Tag wert ist, kann für sie existenzbedrohend sein. Da scheint es fast zynisch, wenn Bitcoiner argumentieren, dass die Unbanked nun die Möglichkeit zum Sparen hätten.

Obwohl Bitcoin all diese Versprechen bisher schuldig geblieben ist, geht der Hype munter weiter. Während die einen weiterhin an sein emanzipatorisches Potenzial glauben, gibt es für andere derzeit einfach sehr viel Geld zu verdienen. Solange der Hype anhält, boomt das Geschäft. Grundlegende Fragen werden auf später vertagt. Bukele selbst beteiligt sich weiterhin fleißig daran, den Hype zu befeuern. Bei der Bitcoin-Konferenz 2022 in zwei Monaten wird er dieses Mal persönlich eine Rede halten. Eine gefüllte Halle in Miami Beach ist ihm sicher. Bukele hat bereits jetzt eine »große Überraschung« angekündigt.

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