Ich kam zum Skifahren, da meine Mutter Ruhe für die Arbeit an ihrer Promotion brauchte. In den Achtzigerjahren waren meine Eltern als Dozenten an der philosophischen Fakultät Sarajevos beschäftigt, mein Vater am bibliothekswissenschaftlichen Seminar, meine Mutter am germanistischen. Ihre Doktorarbeit befasste sich mit der Nemesis aller Migrantinnen: dem unbarmherzigen Rätsel deutschsprachiger Syntax.
Als 1988 während meiner Winterferien mehrere Abgabefristen näher rückten, beschloss meine Mutter, dass ich Wintersport treiben sollte, und schrieb mich in einen Skikurs für Anfänger ein. Kommunisten waren häufig undiplomatische Eltern und meine versuchten gar nicht erst, mir ihre Entscheidung schmackhaft zu machen, etwa indem sie behaupteten, Skifahren sei eine Lust und ein Abenteuer. Sie hätten mir auch erklären können, man müsse für jede Lust und jedes Abenteuer die Furcht überwinden – die Furcht zu überwinden sei wiederum die Voraussetzung eines guten Lebens, weshalb alle Menschen Ski fahren sollten: Stürze man sich eine richtig steile Piste hinab, rase man ins Funkeln ihrer Kristalle, während der Fahrtwind einem das Gesicht zerschneide, sei man fürs Leben gewappnet.
Doch was sagte meine Mutter stattdessen? »Du wuselst mir ständig um die Füße wie ein Kätzchen. So kann ich nicht arbeiten.«
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