Vom Dichten nicht leben können

von Patrick Eiden-Offe

477 wörter
~2 minuten
Vom Dichten nicht leben können
Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt und Christoph Wenzel (Hg.)
Brotjobs & Literatur
Verbrecher Verlag, 2021, 200 Seiten
EUR 19,60 (AT), EUR 19,00 (DE), CHF 26,90 (CH)

Dass die meisten Autorinnen und Autoren nicht von ihrer Schriftstellerei leben können und deshalb auf andere Wege des Broterwerbs angewiesen sind, ist das Geheimnis des Literaturbetriebs, das in der vorliegenden Anthologie gelüftet werden soll – ausdrücklich ohne jeden sozialen Voyeurismus, so stellen die Herausgeber in ihrem pointierten Vorwort heraus. Neunzehn Schriftstellerinnen und Schriftsteller kommen zu Wort, um die abgeblendeten ökonomischen Produktionsbedingungen der Literatur sichtbar zu machen. Die Zusammenstellung der Beiträge folgt einer Logik und Ästhetik der Liste; die rigide wie zufällige Ordnung des Alphabets reiht die Beiträge nach den Namen der Autoren, von denen hier denn auch keiner einzeln herausgegriffen werden soll – das würde dem egalitären Zug des Bandes widersprechen. Die Namen aller Beteiligten finden sich auf der Webseite des Verlags.

Nun lebt aber niemand sein Leben als Bestandteil einer Liste. Wo die Herausgeberinnen auf eine theoretische Bestimmung des Verhältnisses von Brotjobs und Literatur bewusst verzichten, um die präsentierte Vielfalt nicht von vornherein zu reglementieren, da erzählen die einzelnen Beiträge nicht nur von den Jobs selbst – die meist wenig spektakulär sind –, sondern legen die verschiedenen Interpretationsweisen jenes »und« offen, das ja auch je individuell Brotjobs und Literatur trennt wie zusammenhält. Sucht man sich – so lautet eine wiederkehrende Frage – einen Job, der nichts mit Literatur zu tun hat, oder gerade einen, der dieser nahe bleibt? Will man den Brotjob ausblenden, wenn man schreibt, oder versucht man umgekehrt, ihn als Inspirations- oder Affektquelle zu nutzen? Und wie hält man es mit jenen Jobs, die direkt zum Literaturbetrieb gehören? Immerhin wurden auch die Beiträge zu Brotjobs & Literatur mit einem Honorar von 600 Euro entlohnt, so erfahren wir (wobei der »Nachtrag« zu einem anderen Beitrag diese Information wieder infrage stellt). Sind Aufenthaltsstipendien und Lesetouren nun Brotjobs, oder gehören sie zum literarischen Kerngeschäft? Und wird am Ende nicht jeder literarische Auftrag zum Brotjob, wenn man gezwungen ist, alle »bezahlten Schreibgelegenheiten« anzunehmen, wie es in einem Beitrag heißt?

So verdichten sich die verschiedenen Berichte und Reflexionen in der einfachen Frage: »Warum nicht Dichter:innen so bezahlen, dass sie davon leben können?« Dahinter aber lugt schließlich immer wieder die noch grundsätzlichere Frage hervor, warum wir alle – und nicht nur die Dichterinnen und Dichter – genötigt werden, unsere Lebenszeit zu verkaufen, um überleben zu können. Der Brotjob wird so zur Chiffre von Lohnarbeit überhaupt, die prekär lebenden Schriftsteller zum Sonderfall von Marx’ »doppelt freien« Lohnarbeiterinnen – denen in der Gegenwart ja oft genug sogar noch ihre Brotjobs entzogen werden.

Zwischen diesen Polen – der spezifischen Situation von Autoren und dem verallgemeinerten Zwang zur Lohnarbeit – wahrt der Band eine feine Balance. Denn die Beiträge bleiben, gerade in ihrer großen Unterschiedlichkeit und bei aller zum Teil durchaus komplizierten soziologischen Reflexion über Brotjobs, immer auch Literatur, die vergnüglich und lehrreich zu lesen ist.

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