Wer hat Angst vor P. Sloterdijk?

von Richard Schuberth

495 wörter
~2 minuten
Wer hat Angst vor P. Sloterdijk?
Klaus Weber (Hg.)
Sloterdijk
Aristokratisches Mittelmaß und zynische Dekadenz
Argument Verlag, 2022, 176 Seiten
EUR 13,40 (AT), EUR 13,00 (DE), CHF 16,90 (CH)

Ein interessantes Phänomen ist die intellektuelle Unversehrtheit des Peter Sloterdijk. Seit 40 Jahren verpackt dieser erstaunlich unangefochten Demokratie- und Pöbelverachtung, Eugenik, Schicksalskult, Apologie des Kapitals und Antihumanismus in jenen weihevoll aufgeblasenen Jargon, vor dem deutsche Halbbildung so gerne schaudernd erbebt. Interessant ist auch, dass »Schlotterteig«, wie wir ihn nannten, vielen Linken als linker Denker gilt (wie es einmal in der Tageszeitung Neues Deutschland hieß). Es ist wohl dem Verlust der Sprach- und Ideologiekritik geschuldet, dass Sloterdijkisch auch in ihren Ohren wie spoken poetry groovt.

Dem soll nun ein von Klaus Weber herausgegebener Reader Abhilfe verschaffen. Mit diesem ersten Band der bei Argument verlegten, vielversprechenden Reihe Gestalten der Faschisierung knöpfen sich fünf Autoren »einen der klügsten Menschen der Welt« (Zitat Bild) vor und verorten, zweifellos angespornt von Adornos Entmystifizierung Heideggers, in sieben Essays den Philosophen in einer geistigen Genealogie, die so neu nicht ist. Jan Rhemann, Spezialist für Linksnietzscheanismus, weist die mitnichten linke Nietzsche-Exegese des auch in seiner Frühzeit als links geltenden Sloterdijk nach. Sehr spannend wird dieser Strang als jenes pseudophilosophische Band isoliert, das Neoliberalismus mit Rechtspopulismus verknüpft. Zentraler Begriff von Sloterdijks antihumanistischem Elitarismus ist der (aus altgriechischer Bildungsrequisite hervorgekramte) Thymos, eine Art heiliger männlicher Zorn als vitalistische Existentialie, dessen Unterdrückung sich als Pathologie der Schwachen in Moralsystemen oder im Sozialismus Bahn breche. Thymos nimmt sich aus wie das Dionysische abzüglich des Hedonismus, also eine für die protestantoide Beamtenseele konfektionierte Sonderanfertigung, kraft der sie sich über demokratische Verhältnisse (»die Magerstufe des Muts der Verlierer«) hinwegsetzen könne. Seine thymotischen Ratschläge fürs Kapital führte 2008 zu Sloterdijks Aufnahme in den Thinktank (wörtlich zu übersetzen als »Denkpanzer«) Frankfurter Zukunftsrat, der gegen »Verteilungsgerechtigkeit« und das »Recht auf Arbeit« agitiert. Sloterdijk-Schüler und »AfD-Philosoph« Marc Jongen erhob Thymos zu seinem zentralen Konzept, und auch Björn Hocke beklagte, dass den Deutschen »die Thymos-Spannung abhanden« gekommen sei.

Viele Rezipientinnen empfanden den geistigen Weg von der Kritik der zynischen Vernunft (1983) zu Sloterdijks Elitendiskursen als Bruch. Doch bereits ein Essay Christoph Heins aus dem Jahr 1987 antizipierte Sloterdijks Entwicklung anhand dessen Frühwerk und widerlegte zudem die gängige Behauptung vom eleganten Stil mittels jener Art Sprachkritik, die immer auch Ideologiekritik ist. Mehr noch zeichnete Hein scharfsichtig die Transformation einer ganzen Generation von Intellektuellen nach, von ihrem Rückzug aus dem politischen Engagement über die Ironie der Passivität hin zu neurechten Tabubrüchen.

Bei seinem letzten Werk, dem unvermeidlich wirkenden professoralen Sexroman und schwellkörperlichen Bocksgesang Das Schelling-Projekt, gewährte Sloterdijk (freilich wenig überraschende) Einblicke in sein Frauenbild. Klaus Weber führt in einer satirischen Collage vor, wie »der wichtigste Denker Deutschlands« (Zeitschrift Cicero) unter anderem über »Schlampen mit Abitur und übelriechende Fotzen« und von Massenvergewaltigungen als »Eroberungen mit Penetrationsfolgen« fantasiert.

Weit weniger, als diese Rezension suggerieren mag, polemisieren die Autoren, sondern legen in beharrlicher Kleinarbeit das protofaschistoide Weltbild eines Denkers frei, der sich geschickt hinter linken Theorieversatzstücken und prätentiöser Kryptik zu verstecken weiß.

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