Aufstieg in Diversityland
von Sebastian Schmidt
EUR 20,60 (AT), EUR 20,00 (DE), CHF 28,90 (CH)
Über den Plot ist man sich beim Lesen von Natasha Browns als Roman ausgewiesenem Buch zu Beginn nicht im Klaren. Wir erfahren etwas über eine Frau, die an ihrem Arbeitsplatz von einem ihr höhergestellten Mitarbeiter am Telefon gedemütigt wird und weint. Es folgt ein kurzer Austausch über die erniedrigende Frage nach ihrer afrikanischen Herkunft. Erniedrigend, weil dabei impliziert wird, dass die betreffende Person nicht aus Großbritannien kommt, nicht dazugehört, wenngleich sie offiziell Britin ist. Nicht dazugehören, merken wir beim Weiterlesen, ist das, worum es in diesem Buch geht.
Und irgendwann wird die Handlung stringenter, erzählt eine namenlose Protagonistin von ihrem Aufstieg in die Londoner Oberschicht, in das Milieu der Banken, wo sie im Marketing und Management arbeitet. Ihre Herkunft ist dabei immer bei ihr. Natasha Brown schreibt von der schwer überwindbaren Gravitation der Klassenzugehörigkeit, dem omnipräsenten Zweifel, der die Protagonistin, eine gebürtige Jamaikanerin, auf ihrem Weg durch die Etagen der Finanzwelt in Kopf und Brust plagt. Der Protagonistin nebenangestellt ist ihr Geliebter, ein Kind des Londoner Adels, poshe Upperclass. An ihm wird verglichen und gemessen, er bedeutet der namenlosen Frau Hoffnung, aber auch Hoffnungslosigkeit.
Man selbst avanciert irgendwann zur Detektivin, sucht bei den Auftretenden nach Anzeichen ihrer Herkunft, als handele es sich um etwas, das es immer zu finden gelte. Logisch, klar, aber auch traurig wird mit soziologischer Brille eine Geschichte erzählt, die ebenso gut eine pragmatische Lovestory sein könnte. Wie fühlt sich eine Aufsteigerin, wenn alles, auch die Beziehung, ein »Geschäft« ist? Fragen wie diese treffen uns in dem Roman besonders hart, weil wir merken, dass sie aus Sicht derer formuliert sind, die sie lange auf ihre Richtigkeit hin geprüft und schließlich für wahr befunden haben; weil sie »von unten« heraufgesagt werden.
Die Erfahrung sozialer Unterschiede ist in Natasha Browns autofiktionalem Roman zudem immer etwas Körperliches. Wir lesen die Beschreibung von Gliedmaßen, deren Anordnung wie Wegweiser in die Richtung fungieren, aus der die Namenlose sich heraufgearbeitet hat. Heute wissen wir, dass Lebenserwartung und Gesundheit vom monetären und sozialen Background eines Menschen abhängen: Während die Großmutter der Protagonistin an Krebs starb, überlebte der Großvater ihrer Freundin im britischen Landhaus am Kamin. Auch die Namenlose selbst hat Brustkrebs, den sie nicht behandeln lässt. Ihrem Freund erzählt sie nichts von ihrer schlechten Prognose. Für ihn käme schon eine Untersuchung mit vermeintlich gutem Ausgang einer »Nahtoderfahrung« gleich.
Als Höhepunkt wird uns die »Transzendenz« in Aussicht gestellt: eine Feuertaufe auf den Kinderwiesen ihres selbstbewussten Boyfriend, dessen Familienfeier, in der die Protagonistin schließlich mit der Klasse »verschmelzen« könnte, der sie per Definition eigentlich längst angehört. Eigentlich.
Doch die Rolle, die die Namenlose zu spielen hat, ist vorgezeichnet: Sie muss durch Bewunderung dem Geldadel zur Aufrechterhaltung seines Standes verhelfen. Der Übertritt, die Transzendenz in eine andere Klasse
kann nur durch ihren Beitrag zur Selbsterhaltung derselben geschehen. Klasse, so wird uns klar, ist für die Protagonistin bestenfalls zu erreichen, niemals aber zu überwinden.
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