Nicht wirklich frei

von Sitara Thalia Ambrosio

Über alltägliche Repressionen, einen Museumsbesuch und die Perspektiven der kurdischen Jugend.


670 wörter
~3 minuten

Die Temperaturen in der südkurdischen Stadt Sulaimaniyya liegen schon am Vormittag bei weit über 30 Grad Celsius. Die Bergkette hinter der Stadt bildet am Horizont eine klare Linie zum fast wolkenlosen Himmel. Hier, in der Universitätsstadt mit rund 1,6 Millionen Einwohnern, ist die internationale Delegation europäischer Aktivistinnen bei verschiedenen Familien untergebracht.

Zusammen mit kurdischen Aktivisten machen sie sich am 2. Juni auf ins Amna-Suraka-Museum, einen Gefängniskomplex aus den 1980er Jahren. 

Damals, in der Zeit von Saddam Hussein, wurden an diesem Ort vor allem Studentinnen, kurdische Nationalisten und Dissidentinnen gefangen gehalten und gefoltert. Bis 1991 galt er als Hauptquartier des irakischen Sicherheitsapparats. Im Kampf um Sulaimaniyya gelang das Gefängnis unter die Kontrolle der kurdischen Peshmerga-Einheiten.

Das Amna-Suraka-Museum: In der Zeit von Saddam Hussein wurden an diesem Ort vor allem Studentinnen, kurdische Nationalisten und Dissidentinnen gefangen gehalten und gefoltert. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Seit 2003 dokumentiert das nunmehrige Museum die Menschenrechtsverletzungen unter der Herrschaft Husseins, der 2006 für die Massaker an Schiitinnen und Kurden zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Heute wird es von der Regierung der Autonomen Region Kurdistan betrieben und finanziert. An einer Wand wird auch die neuere Geschichte der Region verarbeitet. Standbilder aus Videos zeigen Ausschnitte aus den Gräueltaten des IS. Es sind explizite Bilder, die den Schrecken des Kriegs ungeschönt zeigen. In den Hochzeiten des Kriegs in den Jahren 2014 und 2015 veröffentlichte der IS zahlreiche Videos von Enthauptungen im Internet. Die kurdischen Peschmerga aus den irakischen Gebieten und die Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus dem syrischen Gebiet der Kurden in Rojava haben damals entscheidend zur Bekämpfung des IS beigetragen. »Der IS veröffentlichte diese Videos, um die Opferfamilien zu verletzen«, erzählt Kejan*. Und man merkt, dass ihm diese Bilder nahe gehen. 

Die 17-jährige Maria beim Lernen in ihrem Elternhaus. Sie kommt aus einer der vielen kurdischen Familien, welche nicht selbst aktiv sind, aber die kurdische Freheitsbewegung unterstützen. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Frei sind die Kurdinnen auch in der Autonomen Region Kurdistan nicht wirklich. Auch hier gibt es Repressionen gegen die PKK-nahe kurdische Freiheitsbewegung. Nicht zuletzt deshalb sind auch die Frauen der internationalen Delegation bei Familien untergebracht, die der Freiheitsbewegung zwar nahestehen, aber nicht selbst aktiv sind. Zu groß ist die Angst vor Besuchen der Polizei.

Bei einer Demonstration gegen die »Invasion der türkischen Armee« am letzten Samstag setzte die Polizei Tränengas gegen die Demonstranten ein. »Es gibt hier zwei Parteien (die Demokratische Partei Kurdistans, PDK, und die Patriotische Union Kurdistans, PUK, Anm.), die nicht tun, was ihre Namen versprechen«, sagt Aso Kosary, der als Lehrer arbeitet. »Sie sind nicht Teil unserer Gesellschaft, und sie sprechen nicht für die Menschen hier«, sagt er.

Für den Lehrer Aso Kosary heißt »um eine bessere Zukunft kämpfen« Revolution. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Aso Kosary sitzt in einem kleinen Raum, im Hintergrund stapeln sich Wolldecken, in der Ecke des Raums stehen Bilder toter »Märtyrer«. Er erzählt von der engen Verflechtung von Politik und Wirtschaft und davon, dass viele junge Menschen nur Arbeit finden, wenn sie in die Milizen einer der beiden Parteien eintreten. »Diejenigen, die nicht Teil der Milizen werden«, sagt er, »haben oft keine andere Wahl, als nach Europa zu flüchten.« Aso Kosary hofft darauf, dass die Jugendlichen bleiben und für eine bessere Zukunft kämpfen. Für ihn heißt das Revolution, das Parteiensystem abschaffen und eine neue Gesellschaft nach den Prinzipien des Demokratischen Konföderalismus aufbauen. »Dann«, sagt er, »können auch die Kurden leben und sich entfalten.« Während diese Perspektive für die lokalen Aktivistinnen Alltag ist, geht es für einen Teil der internationalen Delegation wieder zurück nach Europa – mit dem Flugzeug. 

* Name von der Redaktion geändert.

Dies ist nach »Wütend, aber fröhlich« und »In den Bergen Kandils« der dritte und letzte Beitrag im Rahmen unserer Berichterstattung von der internationalen Delegation gegen die Angriffe auf Südkurdistan. In unserer N° 7/8, die am 7. Juli erscheint, veröffentlichen wir auch einen mehrseitigen Fotoessay von Sitara Thalia Ambrosio.

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