Wütend, aber fröhlich

von Sitara Thalia Ambrosio

Seit Wochen fährt das NATO-Mitglied Türkei schwere Angriffe gegen Südkurdistan. Eine internationale Delegation ist seit wenigen Tagen vor Ort, um die Ereignisse zu beobachten.


755 wörter
~4 minuten

Es ist noch früh am Morgen, als sich knapp 40 Menschen am Mittwoch letzter Woche vor dem Jugendzentrum in Sulaymaniyah sammeln. Die Millionenstadt ist eine der größten Städte der Autonomen Region Kurdistan und liegt südöstlich der kurdischen Hauptstadt Erbil. Neben zahlreichen Kurdinnen aus verschiedensten Städten der Autonomen Region bereiten sich hier auch gut 20 Internationalisten aus unterschiedlichen europäischen Ländern auf einen langen Marsch vor. Mit Autos geht es zunächst in die zwei Stunden entfernte Stadt Koye. Dort startet die gemeinsame Demonstration gegen die Angriffe der Türkei und die Zusammenarbeit der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) mit der Erdoğan-Regierung. Erst vor wenigen Wochen kündigte der türkische Präsident an, dass er an der südlichen Grenze der Türkei zu Syrien eine 30 Kilometer breite »Pufferzone« schaffen will. Währenddessen gibt es – wie schon bei den Offensiven in den vergangenen Jahren – Berichte über Bombardements und Drohnenangriffe. Auch zivile Opfer und Zwangsevakuierungen von zahlreichen kurdischen Dörfern werden gemeldet. Unabhängig überprüfen lassen sich viele der Berichte nicht. 

Erst vor wenigen Wochen kündigte Erdoğan an, dass er an der Grenze zu Syrien eine »Pufferzone« schaffen will. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Die Autonome Region Kurdistan ist ein anerkanntes autonomes Gebiet im Irak, das ein eigenständiges Parlament und mit den Peschmerga eigene Militäreinheiten unterhält. Seit 1992 greift die Türkei die Region immer wieder militärisch an. Offiziell richten sich die Angriffe gegen die kurdische, sozialistische PKK, die in zahlreichen Ländern als Terrororganisation gilt und deren Ziel die politische Autonomie kurdisch besiedelter Gebiete ist. Auch im Süden der Autonomen Region Kurdistans kämpft die kurdische Bewegung noch immer um ihre Freiheit. 

Der Weg nach Koye führt nach Norden, über aufgeheizte Landstraßen und enge Bergstraßen. Im Hintergrund erstreckt sich das Zāgros-Gebirge, die Landschaft ist ausgetrocknet und sandig. Im Auto liest Hazar Jaf, ein älterer Kurde, Gedichte aus einem iranischen Buch vor. Immer wieder unterbricht er, um Fotos von kurdischen Flaggen auf seinem Smartphone zu zeigen. Draußen durchbricht der Stausee Deryaçeya Dûkan die Dürre der Landschaft für einen Moment. 

Im Auto liest Hazar Jaf, ein älterer Kurde, Gedichte vor. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Mit rund 400 hauptsächlich jungen Kurden und den 20 Internationalistinnen macht sich die Demonstration in Koye am späten Vormittag auf den Weg. Das Ziel des Marsches ist die nordkurdische Region Behdîna. Auf Transparenten positionieren sich die Jugendlichen gegen die Türkei und den »Verrat der KDP«. »Die wollen gegen die PKK kämpfen und ganz Kurdistan in die Hand der Türkei bringen«, sagt der 19-jährige Shawan über die KDP. »Wir haben keine richtige Arbeit, weil alles in ihrer Hand ist. Wir jungen Menschen sind unglücklich, können aber nicht so viel tun. Wir geben dennoch unser Bestes«, erklärt er. Die Demonstranten rufen auf Kurdisch »Hoch lebe der Guerilla-Widerstand« und den Namen ihres politischen Vordenkers Abdullah Öcalan. 

Auf Transparenten positionieren sich die Jugendlichen gegen die Türkei und den »Verrat der KDP«. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Auf einer Landstraße mitten in der Wüste wird die Demo von bewaffneten Männern in Tarnkleidung und Schusswesten an einem Checkpoint gestoppt. Zahlreiche kurdische Frauen sind davon wenig beeindruckt und brüllen weiter Parolen in Richtung der Uniformierten. Auch die Internationalistinnen rufen Parolen wie »Hoch die internationale Solidarität«. Nach knapp einer Stunde rollen Pick-ups der Polizei an. Bewaffnet mit Helmen, Schilden und Gasmasken stellen sich die Polizisten im Halbkreis auf. Nur wenige Minuten nach Ankunft der Polizeieinheit zieht sich die Demo zurück. 

Für Leo ist das erst der Anfang. Noch eine Woche ist die Delegation der europäischen Aktivisten in den kurdischen Gebieten unterwegs. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

»Es war echt interessant zu sehen, dass die Polizei die gleichen Taktiken wie bei europäischen Demos anwendet«, erzählt Leo aus Wien nach der Demonstration. Für die 24-Jährige ist die Teilnahme an der Delegation die logische Konsequenz ihrer politischen Arbeit. »Es ist wirklich surreal, in so einer Wüste zu stehen, umringt von knapp einhundert Peschmerga mit Waffen«, sagt sie. »Trotzdem war die Stimmung gut. Wütend, auf eine fröhliche Art. Es wurde gesungen und geklatscht.« Für Leo ist das erst der Anfang hier vor Ort. Noch eine Woche ist die Delegation der europäischen Aktivisten in den kurdischen Autonomiegebieten unterwegs – auch um international mehr Öffentlichkeit für den Widerstand gegen die türkischen Angriffe in Südkurdistan zu schaffen.

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