In Erinnerung an Ernst Fischer

von David Mayer

Wiener Tagebuch, Nr. 10, Oktober 1972


462 wörter
~2 minuten

Im Juli dieses Jahres jährt sich der Tod des Politikers und Intellektuellen Ernst Fischer zum 50. Mal. Die österreichische Medienöffentlichkeit wird aus diesem Anlass das hierorts etablierte Fischer-Bild weiter pflegen: Fischer als hoher (und damit problematischer) KP-Funktionär; Fischer als innerkommunistischer Dissident; nicht zuletzt Fischer als jener, der, einer Bemerkung in seiner Autobiografie folgend, beinahe unwillkürlich zum Politiker geworden sei. Dieser in ihrer Mischung aus Auslassung und bonmothafter Verniedlichung für Österreich typischen Art, mit historischen Figuren der Linken umzugehen, ist zumindest zweierlei entgegenzuhalten: Erstens muss man daran erinnern, in welchem Maße Fischer in anderen Ländern, vor allem im anglofonen Raum, wegen seiner Beiträge zur Kunsttheorie als einer der bedeutendsten marxistischen Theoretiker des 20. Jahrhunderts gilt. Zweitens liegt das Bild des unwillkürlichen Politikers einem Missverständnis zugrunde. Wie schon Franz Marek, Fischer-Weggefährte und Chefredakteur des Wiener Tagebuch, in einem im Oktober 1972 anlässlich der Urnenbeisetzung Ernst Fischers veröffentlichten »Echo auf die Nachrufe« betonte: Es kommt auf den Begriff von Politik an.

Franz Marek

Ernst Fischer und die Politik

»In manchen Nachrufen auf Ernst Fischer ist ein Satz aus seinen Erinnerungen zitiert worden, in dem Ernst Fischer geschrieben hatte, er habe sich nie als Politiker gefühlt, nur widrige Umstände haben ihn gezwungen, sich politisch zu engagieren. Dieser Satz kann kaum kommentarlos akzeptiert werden. Gewiß, wenn man unter Politik die Taktik des Tages versteht, das geschickte Ausspielen und Überspielen [...] – so war darin weder die Stärke noch die Leidenschaft Ernst 
Fischers gelegen, obwohl er es als Parlamentarier oft erstaunlicherweise verstanden hatte, aus den dürrsten Akten Funken sprühen zu lassen. Wenn man aber die Politik im großen Sinne des Wortes begreift, als den Versuch, eine Utopie als operative Kategorie im konkreten Kampf wirksam werden zu lassen, so war für Ernst Fischer alles Politik. Man muß nur an einem Abend erlebt haben, wie sich Ernst Fischer mit der gleichen Leidenschaft ereifern konnte, für die Streitgespräche bei Thukydides, für Nietzsches fröhliche Wissenschaft, für den Disput zwischen Otto Bauer und Theodor Körner in der Frage des bewaffneten Aufstands, für manche Aspekte der chinesischen Kulturrevolution, man muß nur einen solchen Abend erlebt haben, um zu wissen, daß für Ernst Fischer alle Probleme eingebaut waren in die große Vision dessen, was der junge Marx den totalen Menschen genannt hat, die totale Entfaltung aller kreativen menschlichen Anlagen, auf daß – wie Ernst Fischer schrieb – nicht im Dürren welke unsere Mühe / Und aus der Tat der Völker Schönheit blühe.

[...]

[Der Gedanke], den man wohl als den Grundgedanken seines politischen Vermächtnisses bezeichnen kann, daß nämlich auch eine authentische Revolution Stückwerk bleibt, wenn sie nicht in einen authentischen, daß heißt humanistischen Sozialismus mündet [...].«
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