Liebe mich

von Sebastian Schmidt

567 wörter
~3 minuten
Liebe mich
Kathy Acker
Bis aufs Blut
Zerfleischt in der Highschool
Aus dem amerikanischen Englisch von Johanna Davids. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Rosa Eidelpes. März Verlag, 2022, 212 Seiten
EUR 34,96 (AT), EUR 34,00 (DE), CHF 44,90 (CH)

Kathy Ackers Roman, der von Johanna Davids genial neu übersetzt wurde, beginnt mit der 13-jährigen Janey. Sie wohnt in einer mexikanischen Kleinstadt und steht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem Mann, den sie Vater nennt. Sie liebt ihn, schläft mit ihm. Aber es ist nicht genug Liebe, die sie bekommt, und er fühlt sich bedrängt. Schließlich entfernt sich Vater von ihr, räumlich und emotional, indem er ihr so wenig Zuneigung wie möglich gibt.

Man muss bereits nach diesen ersten Seiten anhalten, so betroffen ist man von dieser Janey widerfahrenden Grausamkeit, der »Höllenqual der Zurückweisung«. Und Kathy Acker schreibt dies in einer schmerzlichen Unmittelbarkeit, vor die man eine Triggerwarnung setzen möchte. Zum Beispiel als Janey eine Entzündung im Unterleib hat, aber trotzdem mit dem Mann schläft, »weil ihr Verlangen danach, Liebe herbeizuficken, stärker war als ihr Schmerzempfinden«.

Janey kommt an eine Schule in New York, aber vorher liegt sie in einer Abtreibungsklinik, wo sie per Selbstgespräch abrechnet mit der Gesellschaft, mit Sex, den sie liebt und braucht, und mit patriarchaler Vorherrschaft.

Acker wechselt in den Kapiteln nicht nur das Setting, sondern auch die Form. Nach der anfänglich harten Prosa lesen wir einen dramatischen Text, lustig und garstig, über Janeys Arbeit hinter dem Tresen einer Bäckerei, der ein bisschen an Nana Kwame Adjei-Brenyahs Friday Black erinnert. Gefolgt von einem Märchen über einen Biber, einen Bären und einen Elefanten.

Später gerät Janey an den Sklavenhalter Mr. Linker und wird eingesperrt. Sie schreibt fortan aus der Isolation. Zum Beispiel die »Persischen Gedichte« und eine Nacherzählung und Reflexion von Hawthornes Der scharlachrote Buchstabe. Das alles klingt nach Stakkato, aber man verweilt in jedem Text, ist nah bei Janey. Und bei Acker.

Denn wie auch bei deren anderen Romanen hängt die Fiktion eng an der Biografie der Autorin. So hat Acker ihren Freund Alan Sondheim, mit dem sie geschrieben und performt hat, ihren Vater genannt. Wie auch Janey befand sich Acker in einem ständigen Kampf um Autonomie im Angesicht des Verlorenheitsgefühls bei der Suche nach Liebe beziehungsweise nach Sex als deren Implementierung.

Neben der Formfreiheit bereichern das Buch etliche Zeichnungen: Genitalien, Lagepläne von Häusern und Wohnungen. Ein Highlight ist die aufklappbare »Karte meiner Träume«. Sie zeigt Tiere, Sexszenen, Stadtpläne, einen Gott des Todes. Eine Angst-Grafik namens »Auf dem Land«, mit Zonen, die überwunden werden müssen und neue Stadien einer nicht näher definierten Erkenntnis bringen.

Zurück zu Janey: Wieder auf freiem Fuß reist sie nach Tanger und verliebt sich unsterblich in Jean Genet, der sie ebenfalls zurückweist, in Janeys Vorstellung sogar unterdrückt, misshandelt und demütigt. Als Janey auch von Jean Genet verlassen wird, endet das Buch in einem abertraurigen Poem.

Vieles, was Acker schreibt, evoziert das Gefühl eines Uncanny Valley zwischen Worttreue und Metapher. Wir glauben Janey, was sie berichtet, schon allein der Brutalität wegen. Und doch spielt Acker immer wieder einen genialen Streich, indem sie über Episoden hinausdeutet, nur ganz kurz, und dabei alles zur Metapher werden lässt.

Bis aufs Blut ist ein radikales, trauriges Werk über das Empfinden von Einsamkeit und den Schmerz unerfüllter Bedürfnisse. Es mutet zwar kitschy an, kommt Ackers Drastik aber näher, zu sagen: a tug-of-war for love (and sex). Was für ein großes, unfassbares Buch!

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