Vincenzo Pagliuca: Zwischen Flucht und Zuflucht
von Christina Töpfer
»Bilder der Auseinandersetzung« 9/2022. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«.
Mehr als 700 Bunkeranlagen sollte der unter Benito Mussolini in den späten 1920er Jahren begonnene, jedoch nie fertiggestellte Vallo Alpino (Alpenwall) umfassen, der sich ausgehend von der französisch-italienischen Grenze in den Seealpen bis zum heutigen Rijeka (Kroatien) erstreckte. Ziel seiner Errichtung war es, das faschistische Italien gegen seine nördlichen Nachbarn und insbesondere gegen das Deutsche Reich, mit dem es eigentlich verbündet war, zu verteidigen.
Im Zuge einer Künstlerresidenz im Südtiroler Vinschgau wurde Vincenzo Pagliuca 2018 auf die besondere Architektur dieser Befestigungsanlagen aufmerksam. Fasziniert von der Heterogenität der Bunker, von denen es allein in Südtirol um die 350 gibt, begann er, sie in seinem Projekt Bunker (2018–2021) fotografisch zu dokumentieren und eine Art visuelles Inventar des Vallo Alpino in dieser Region zu erstellen. Darin wird sichtbar, wie sich die Bauten in die sie jeweils umgebende Landschaft einfügen, welche Formen der Tarnung genutzt wurden, um sie möglichst unauffällig erscheinen zu lassen, und wie sich ihre Bauweise im alpinen Hochgebirge und im Tal unterscheidet. Ebenso erschließt sich in den Aufnahmen ein Eindruck der heutigen, oftmals privaten und gewerblichen Nutzungsformen der Bunker, nachdem das italienische Militär die Anlagen 1993 desarmiert und aufgegeben hatte.
Pagliucas präzise und stets unter ähnlichen Lichtbedingungen aufgenommene Fotografien weisen dabei über eine reine Dokumentation der Bauten hinaus. Vielmehr knüpfen sie an seine bereits langjährige Auseinandersetzung mit archetypischen Formen der Behausung und des Wohnens an. Nicht zuletzt ist den Arbeiten eine politische Dimension inhärent: Wenngleich die Bunkeranlagen des Südtiroler Alpenwalls nie einem militärischen Angriff standhalten mussten, stehen sie mahnend für den fragilen Zustand einer friedlichen Welt und veranschaulichen, wie nahe Zuflucht und Flucht beieinander liegen können.
Ihre Spende für kritischen Journalismus
Linker Journalismus ist unter Druck. Zumal dann, wenn er die schonungslose Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen profitablen Anzeigengeschäften vorzieht. Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie es uns, kritische Berichterstattung auch angesichts steigender Kosten in gewohnter Form zu liefern. Links und unabhängig.