Ein späterer Präsident im »Tagebuch«

von David Mayer

»Wiener Tagebuch«, Nr. 11, November 1987


469 wörter
~2 minuten

Alexander Van der Bellen wird sich am 9. Oktober der Wiederwahl zum österreichischen Bundespräsidenten gestellt haben. Seine frühere berufliche Laufbahn als Ökonom ist bekannt, genauso wie seine politische Herkunft als gemäßigter, linksbürgerlicher Grüner (mit erst später hervorgekehrten Wurzeln im Alpin-Ländlichen). Vor recht genau 35 Jahren veröffentlichte das spätere Staatsoberhaupt einen Artikel im Wiener Tagebuch – was dessen Charakter als ökumenische, für verschiedene Strömungen links der Mitte offene Zeitschrift ein weiteres Mal unterstrich. Die Autoreninfo des Artikels lautete: »Van der Bellen ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Wien.« In seinem Text nahm Van der Bellen zum damals in Österreich hohe Wellen schlagenden Noricum-Skandal Stellung, bei dem es um illegale Waffenexporte eines Tochterunternehmens der staatlichen VÖEST ging. Erkennbar wird in diesem Text eine bis heute andauernde Neigung zum parabelhaften Erzählen. Inhaltlich vertrat Van der Bellen darin eine eigenartige These: Auf dem internationalen Waffenmarkt herrsche ein derartiges Überangebot, dass kein Geschäft mehr zu machen sei, Waffenexporte in den globalen Süden daher politisch gewollt sein müssen. Während Letzteres nicht ganz falsch ist, hat sich Ersteres als haltlos erwiesen.

Alexander Van der Bellen

Sir Basil und die Noricum

[...]

»[Basil] Zaharoff, ungeklärter griechisch/türkischer Herkunft, wurde reich, geadelt und geehrt, weil er der Großmeister der Bestechung, der Diplomatie und der Intrige war, und weil er diese Fähigkeit nutzte, um aus Waffen für andere Gold für sich zu machen: der gerade zu archetypische Inbegriff des erfolgreichen Waffenhändlers [...]. ›Ich habe Kriege angefacht, sodaß ich beiden Seiten Waffen verkaufen konnte‹, sagte Sir Basil über seine Geschäftsprinzipien. [...]

[...]

Österreich 1987: die Noricum, Tochter der Vöest, in den Fußstapfen Zaharoffs? Die Legenden um 
Zaharoff nähren die romantische Illusion, daß mit Waffen überall und jederzeit leicht Geschäfte zu machen seien. [...]
Im Schnitt gehen drei Viertel der österreichischen Rüstungsproduktion in den Export, fast ausschließlich in die Länder der Dritten Welt. [...] In den siebziger Jahren haben sich die Rüstungsimporte der Dritten Welt vervierfacht (!), verglichen mit dem Jahrzehnt davor. Seit dem Beginn der achtziger Jahre stagniert dieser Markt und eine Reihe von Indizien deutet auf eine Verschärfung der Absatzkrise für Rüstungsgüter. 

[...]

Es ist kein Zufall, daß in den letzten Monaten nicht nur in Österreich, sondern auch in Schweden und Italien Waffenexporte zu Staatsaffären mutierten: die Exporteure stehen mit dem Rücken zur Wand und suchen ihr Heil auf dem einzigen Hoffnungsmarkt: dem kriegführenden Iran und Irak. [...]

Es kann, kurz gesagt, keine Rede davon sein, daß die österreichische Waffenproduktion Gewinne und Arbeitsplätze sichert. Bestenfalls sind das Illusionen aus den siebziger Jahren. Selbst Zaharoff wäre unter solchen Bedingungen nicht zu Sir Basil geworden. Zaharoff imitieren heißt nicht, im nahöstlichen Schlachthaus unbedingt dabei sein zu wollen.«
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