Hijabs, Insta, R.E.M.

von Ania Gleich

Fotos: Stadtkino Filmverleih

In ihrem ersten Spielfilm »Sonne« erzählt Kurdwin Ayub eine Geschichte über Verlorenheit, die mit Absurdität und Humor überzeugt.


934 wörter
~4 minuten

Wenn unfreiwillige Religionskritik auf den Meme-Humor der Gen Z trifft und sich mit einem Youtube-Cover von Losing My Religion vermengt, finden nicht nur R.E.M. ihren Glauben wieder, sondern auch das Kinopublikum sein Lachen. Kurdwin Ayubs erster Spielfilm Sonne erschafft vor diesem Hintergrund das authentische Bild eines Zeitgeists, der sich abseits von gesellschaftskritischen Romantisierungen und dramaturgischer Schwere bewegt. Im Zentrum steht Yesmin (Melina Benli), die zwischen der Lebensrealität ihrer kurdischen Familie und dem pubertären Erwachen ihrer beiden Freundinnen Nati (Maya Wopienka) und Bella (Law Wallner) hin und her geschaukelt wird. Umrahmt wird der Streifen durch ein gelungenes Mashup aus medialer Bilderflut, Whatsapp-Nachrichten und langsamen Einstellungen, die Raum zum Atmen schaffen.

Yesmin, Nati und Bella wollen weder blasphemisch sein noch ein Statement setzen, als sie in den Hijabs von Yesmins Mutter zu Losing My Religion twerken und trällern. Als ihre Freundinnen das Video kurze Zeit später auf Youtube stellen, wird Yesmin allerdings unsanft mit ihrer kurdischen Tradition konfrontiert. Während ihre Mutter schockiert auf die vermutete hämische Religionsinszenierung ihrer Tochter reagiert, gerät Yesmins Vater geradezu in Feierlaune – von da an nimmt der begeisterungsfähige Mann die drei Mädchen auf jedes persische Fest mit, das in den Kalender passt, um die Mädchen mit dem 90er-Evergreen auf die Bühne zu stellen.

Während Nati und Bella im Laufe der Zeit kurdische Männer kennenlernen und mit der eigentlich fremden Kultur zu sympathisieren beginnen, entfremdet sich Yesmin sukzessive von den durch ihre Familie eintrainierten Traditionen. Dabei ist auch die Dynamik der Beziehungen spannend, durch die Yesmin mäandert. Die digitale Außenwelt erreicht Yesmins Schlafzimmer genau so wie die Gebetsgebote ihrer Mutter: Zwischen Insta-Story und dem kurdischen Gebetsgewand ist noch Zeit für einen Whatsapp-Videocall. Während Yesmin aber durch die für sie irritierende Kurden-Affinität ihrer Freundinnen den Spiegel vorgehalten bekommt und erstmals die Handlungsmaximen ihrer Religion hinterfragt, träumen Nati und Bella vom Irak.

Die Journalistin Melisa Erkurt beschreibt mit dem Begriff »Generation Haram« die Identität von Jugendlichen, die in zweiter oder dritter Generation aus oft geflüchteten Familien in Österreich leben und mehrheitlich hier geboren sind. Genau wie Yesmin stehen diese mit einem Fuß in einer konservativen Familientradition und dem anderen in dem sozialen Umfeld, das sie in Österreich vorfinden. Den dadurch entstehenden Zwiespalt kennt auch Kurdwin Ayub, die als Kurdin durch beide Raster fiel: »Deswegen gibt es den Film Sonne. Weil ich nirgends dazugehöre.«

Yesmins Eltern, die von Ayubs eigenen Eltern verkörpert werden, bringen noch eine weitere Dualität dieser Generation mit ins Spiel, die die Haupterzählung seltsam konterkariert: Während Yesmin nämlich den Fleiß- und Ehrgeiz-Ansprüchen ihrer Eltern genügen muss und als Lieblingskind des Vaters hochgehalten wird, bleibt Yesmins Bruder im Hintergrund. Er wird als vergessener Outlaw der Familie stilisiert, der in alte Fabrikhallen einbricht und mit seiner »Gang« als Mutprobe Wildschweine tötet. Die Mutter, die in ihrer Zurückgezogenheit als Erste auf die Barrikaden geht, als die Polizei irgendwann vor der Tür steht, bleibt als Einzige bis zum Ende die beständige Traditionshüterin der Familie.

Authentische Inszenierung

Was Sonne auszeichnet, ist, dass er die Kluft zwischen den ernsten Hintergrundthemen und dem oft seichten Clickbait-Manierismus unserer Social-Media-Blasen mit Humor auffängt, ohne der Zuschauerin moralisch zu kommen. Der Film plätschert ohne dezidierte Höhepunkte dahin und erschöpft sich trotzdem nicht in seinem Unterhaltungscharakter. Dass die verschiedenen Tempi des Films so gut ineinanderlaufen, liegt wiederum daran, dass der Film dramaturgisch mit der überbordenden Informationsflut spielt, die unsere Aufmerksamkeitsspanne definiert. »Ich liebe die Ästhetik dieser Videos, die ein Stück Leben aufnehmen und es für immer in die weite Welt des Internets stecken, wo es irgendwo auf einer Cloud und einem Server vermutlich länger bleibt, als wir leben«, so Ayub. »Während des Drehs sagte ich meinem Kameramann jedes Mal, er soll hässlicher filmen, als er das Handy in der Hand hielt. Aber weil ich Echtheit haben wollte, haben die Jugendlichen viele der Videos selber gedreht.«

Zwischen Merkel-Memes, Hasenohren und überblitzten Bierdosen flackern aber auch Themen wie Nationalismus, Heimatlosigkeit oder digitale Verlorenheit auf, die die Smartphone-Schnelligkeit durchkreuzen: In einer Szene etwa erzählt Yesmins Mutter von den traumatisierenden Erlebnissen während des Irak-Kriegs. An anderer Stelle blitzt hinter Insta-Filtern die mutmaßliche Einsamkeit auf, die Nati und Bella dazu bewegt, sich in den Strukturen eines fremden Kulturraums zu verlieren. Die unfreiwillige Komik, die aufkommt, wenn die drei Mädchen im Islamischen Zentrum vor einem Klassenzimmer voller Frauen im Kopftuch den R.E.M.-Hit performen, wirft die Frage auf, was die Schnelligkeit der Kommunikationskanäle mit unserem Humor macht. Die Sollbruchstellen zwischen verschiedenen Welten werden zwar drastischer, gleichzeitig mit der Masse an Inputs aber irrelevanter. Drei Swipes nach links sieht man Mädchen in Hijabs tanzen, auf dem Weg dorthin begegnen uns aber auch ein paar Hundewelpen, die durchzechte Nacht des Nachbarn und die letzten Schreckensberichte aus der Ukraine. Jeder Bruch, egal ob digital oder real, wird komisch, weil er die Skurrilität unserer eigenen Gewöhnung aufzeigt.

Die Abbrüche, Umbrüche und Verschiebungen in Sonne sind aber auch der Grund, warum der Film in seiner Inszenierung so authentisch wirkt. Als Zuschauerin muss man nicht alles nachvollziehen können, dennoch bleibt man angesprochen: »Am letzten Schnitttag lud ich Frauen ein, die so sind wie Yesmin und ich. Ich hatte Tränen in den Augen, während sie dasaßen. Zum Schluss haben manche die Handlung des Films zwar nicht verstanden, aber fanden ihn glaubwürdig. Reicht für mich«, sagt Ayub.

Sonne
AT 2022, 87 Minuten
Buch und Regie: Kurdwin Ayub
1

    Warenkorb

    Spenden €10 - Monatlich
    1 X 10 / Monat = 10 / Monat