Fan im Rausch

von Jens Kastner

543 wörter
~3 minuten
Fan im Rausch
Simeon Wade
Foucault in Kalifornien
Wie der große Philosoph im Death Valley LSD nahm – eine wahre Geschichte
Kiepenheuer & Witsch, 2022, 176 Seiten
EUR 20,60 (AT), EUR 20,00 (DE), CHF 28,90 (CH)

Irgendwann im Jahr 1975 nahm der damals schon weltberühmte Philosoph Michel Foucault in der Wüste Kaliforniens LSD. Dazu eingeladen hatte ihn der Historiker Simeon Wade. Mit ihm und dessen Lebensgefährten Michael, einem Musiker, verbringt Foucault einige Stunden auf dem Trip im Death Valley. Ein »unvergesslicher Abend« laut Foucault, ein Abend, der »definitiv« die Arbeit des Philosophen beeinflusst habe, laut Wade. Inwiefern, fragt man sich, beeinflusste die Drogenerfahrung das Werk? Doch die sympathische Hippiefantasie von den bewusstseinserweiternden Effekten des Drogenkonsums bleibt leider einmal mehr schlecht belegt. Ausflug und Rauscherlebnis selbst nehmen in Wades Erzählung gerade mal fünfzehn Seiten ein, damit ist an Walter Benjamin und Drogenberichte anderer Intellektueller nicht heranzukommen.

Der Rest des Buches beschreibt die Tage davor und danach, die am Rande von Foucaults Gastprofessur tatsächlich stattgefunden haben. Die Verbürgtheit der Ereignisse ist wohl zu betonen, denn schon auf den ersten Seiten erlebt man einen Autor, der wie berauscht davon ist, dass sein »Held«, wie er Foucault nennt, die Einladung überhaupt angenommen hat. Was dann kommt, ist der von Anekdoten gespickte Bericht eines Fans, der es kaum glauben kann, so viel Zeit mit seinem Idol verbringen zu dürfen. Foucault auf einer Party, Foucault bei einer Gruppe schwuler Aussteiger, Foucault auf dem Weg in den Hörsaal, immer begleitet von Simeon und Michael, die ihn mit Fragen geradezu bombardieren: Was er von Gramsci halte und von Sartre, ob er masturbiere, wie sich Paris und Kalifornien im Hinblick auf schwule Subkultur und bezüglich der Möglichkeit unterscheiden würden, wie leicht man Gras kaufen kann. Was Foucault antwortet, ist alles notiert, nur ist er häufig so einsilbig, dass man sich fragen muss, wie akkurat diese Aufzeichnungen sind. Zur Frauenbefreiung befragt, antwortet Foucault angeblich, Frauen hätten historisch so eine große Macht gehabt, »sie haben die Kinder aufgezogen«. Dass der große Machttheoretiker etwas dermaßen Einfältiges gesagt haben soll, erscheint nicht eben wahrscheinlich. Stellen wie diese werfen dann selbstverständlich die Frage auf, für wie wahr all die anderen Statements von Wades Foucault gehalten werden sollen. Ein transkribiertes Gespräch, das der Philosoph mit Studierenden an der Uni geführt hat und das rund zwanzig Buchseiten füllt, ist wohl die einzig wirklich verlässliche Quelle.

Aber um wissenschaftliche Genauigkeit geht es wohl gar nicht, auch wenn es Wade sehr ernst mit der Sache war. So ernst, dass er über Jahrzehnte nach einer Publikationsmöglichkeit für das kurz nach dem Foucault-Besuch verfasste Manuskript suchte, ohne es aus der zeitlichen Distanz noch einmal zu bearbeiten. So finden wir jetzt einen streckenweise zwar unterhaltsamen Text vor, der in seiner Heldenverehrung insgesamt aber zum Fremdschämen peinlich ist. Wie sehr sie ihn hier alle lieben, sagt Wade zu Foucault, und wie dankbar er sei für die »Erleuchtung«, die er ihnen gebracht habe. Man möchte nicht in Foucaults Haut gesteckt haben.

Während das Vorwort von Heather Dundas noch ganz im Banne Wades erleuchteter Begeisterung die Bedeutung der Veröffentlichung hervorhebt, ist das Nachwort von Kai Sina um einiges geerdeter. Er beschreibt den Umgang Wades mit Foucault als eine Art »Heiligenlegende«, in der »Signale der Ironie« ebenso wenig zu finden seien wie eine »relativierende Brechung«. Damit hat er vollkommen recht. Was wirklich schade ist.

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